Instabile Verhältnisse in und um Bagdad
Der innerirakische Machtkampf eskaliert seit dem Abzug der US-Besatzungstruppen vor einem Jahr
Die irakische Regierung erlebt keinen ruhigen Jahreswechsel: Seit einer Woche blockieren Demonstranten bei Ramadi die Autobahn zwischen Bagdad und Amman. Ortsansässige Journalisten berichteten, dass die Protestierer den Rücktritt von Ministerpräsident Nuri al-Maliki fordern.
Ursache der aktuellen Proteste, die auch in den Provinzen Salaheddin und Ninova anhalten und von einem »Koordinationskomitee für die Revolution« organisiert werden, ist die Festnahme von mindestens neun Sicherheitskräften des irakischen Finanzministers Rafa al-Essawi. Staatliche Strafverfolgungsbehörden werfen den Männern vor, in »terroristische Aktivitäten« verwickelt zu sein. Die Demonstranten glauben, sie seien wegen ihrer konfessionellen Zugehörigkeit als Sunniten verhaftet worden. Maliki rief die Demonstranten zu einem Dialog auf, die Blockade der Autobahn sei als Mittel des Protestes unakzeptabel.
Ramadi ist die Hauptstadt der Provinz Anbar, die im Westen an Syrien und Jordanien grenzt. Anbar ist Siedlungsgebiet großer Stämme, die Maliki vorwerfen, Irak mit einer von Schiiten dominierten Politik in einen ethnisch-konfessionellen Bürgerkrieg zu treiben: Schiiten gegen Sunniten.
Vor einem Jahr war Maliki ähnlich gegen den damaligen Vizepräsidenten Tarik al-Haschimi vorgegangen, der mittlerweile in der Türkei lebt. In Abwesenheit wurde Haschimi mehrfach zum Tode verurteilt, weil er mit seinen Sicherheitskräften Todesschwadronen befehligt haben soll. Al-Haschimi war als Mitglied der Islamischen Irakischen Partei, al-Essawi als Mitglied des al-Irakia Blocks in der Regierung der nationalen Einheit vertreten. Al-Irakia hatte die letzten Parlamentswahlen (2010) nicht zuletzt wegen ihres deutlich säkular ausgerichteten Programms gewonnen. Wegen der Blockadehaltung von Maliki, der sowohl von Iran als auch von den USA unterstützt wurde, konnte al-Irakia nur als Koalitionspartner politische Posten übernehmen. Seitdem hat Maliki als Ministerpräsident seine Machtfülle sukzessive ausgebaut. Er übernahm auch die Ministerien für Verteidigung und für Nationale Sicherheit.
Seit dem Abzug der US-Besatzungskräfte vor einem Jahr, ist der innerirakische Machtkampf eskaliert. Mit einem Budget von jährlich 110 Milliarden US-Dollar werden vor allem Sicherheitskräfte und Waffenkäufe sowie die großzügigen Gehälter von Regierung und Parlament finanziert. Nach der weitflächigen Zerstörung irakischer Infrastruktur durch die von den USA geführte Koalition zum Sturz des früheren irakischen Präsidenten Saddam Hussein (2003), der Besatzung des Landes und anhaltenden Terroranschlägen, gibt es weder ausreichend Strom noch sauberes Wasser oder genügend und bezahlbaren Wohnraum. Krankenhäuser, Universitäten und Schulen sind nicht nur konfessionell gespalten, sondern auch massiv unterfinanziert.
Nach einer kürzlich veröffentlichten Studie des UN-Kinderhilfswerks UNICEF haben 32 Prozent der irakischen Kinder unter 18 Jahren - 5,3 Millionen -, keinen Zugang zu ausreichender Nahrung, Gesundheitsversorgung und Bildung. Nur zehn Prozent dieser Altersgruppe sind ausreichend versorgt. 35 000 Kinder sterben demnach jährlich im ersten Lebensjahr, jedes vierte Kind kann sich physisch und intellektuell nicht normal entwickeln, weil es an Unterernährung leidet. Zwar werden 90 Prozent der Kinder in der Grundschule angemeldet, doch nur jedes vierte Kind beendet die Grundschule. 3,3 Millionen Kinder sind in den Schulen »äußerst gewalttätigen Disziplinierungsmaßnahmen« ausgesetzt, heißt es in dem UNICEF-Bericht. Rosige Perspektiven gibt es derzeit weder für Iraks Kinder noch für das Land an sich.
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