Das Ende der irischen Demut?

Im ersten Halbjahr 2013 steht Irland der Europäischen Union vor

  • Pit Wuhrer
  • Lesedauer: 5 Min.
Sie gelten als Musterschüler Europas, zahlen tapfer für die Bankenrettung, nahmen die Sparprogramme der Troika lange Zeit klaglos hin - doch jetzt wächst Widerstand der Iren gegen ihre Regierung, die mit dem 1. Januar den EU-Ratsvorsitz übernommen hat.

Die jüngsten Aktionen überraschten sogar Optimisten wie Tommy McKearney. »Mit so vielen Teilnehmern haben wir nicht gerechnet«, sagt der Gewerkschafter, der immer wieder Kundgebungen gegen die Kürzungspolitik der irischen Regierung organisiert. An der Demonstration Ende November, zu der die Kampagne gegen die Haushaltsteuer und das Dubliner Gewerkschaftskartell aufgerufen hatten, waren rund 20 000 Leute gekommen, »so viele wie schon lange nicht mehr«. Und als Anfang Dezember das Parlament das sechste Sparprogramm in Folge verabschiedete, versammelten sich spontan knapp 1500 Aktive vor dem Dáil Éireann.

Es bewegt sich etwas in dem Land, das bis vor 20 Jahren landwirtschaftlich geprägt war und in dem es kaum eine linke Tradition gibt. Industrialisiert wurde Irland in den 90er Jahren vor allem von US-Unternehmen wie Dell, Intel oder Microsoft. Es gab plötzlich Jobs, die Löhne kletterten, viele der früher Ausgewanderten kehrten zurück, die Hauspreise stiegen um das Dreifache, allen wurden Immobilienkredite nachgeworfen, der keltische Tiger fuhr seine Krallen aus.

Doch jäh endete der Boom. Die ausländischen Investoren verlagerten die Werkstätten gen Osten in billigere Gefilde, die Finanzmarkt- und Immobilienkrise ab 2007 brachte den Tiger zur Strecke. Entsetzt über den Absturz bürgte die damalige Regierung für alle Verbindlichkeiten irischer Banken und nahm ein Gesamtrisiko in Höhe von 400 Milliarden Euro auf sich - das Zweieinhalbfache des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Knapp 100 Milliarden musste der Staat sofort zahlen.

So kletterte die Staatsschuld von 25 Prozent des BIP (2007) auf derzeit 110 Prozent. Die EU zwang Irland 2010 unter den Rettungsschirm, die Troika aus Europäischer Zentralbank, EU und Internationalem Währungsfonds übernahm das Kommando und wälzte die horrenden Kosten der Bankenrettung auf die Lohnabhängigen ab: Als Gegenleistung für ein Kreditprogramm in Höhe von 85 Milliarden Euro kürzte Irland die Gehälter im öffentlichen Dienst um 15 Prozent, reduzierte das staatliche Personal, strich das Arbeitslosengeld zusammen und erhöhte die Einkommensteuern. Nur der Unternehmensteuersatz blieb, wie er vorher war - bei rekordverdächtig niedrigen 12,5 Prozent.

Die Quittung erhielt die damalige Regierung bei den Wahlen im Frühjahr 2011. Die Iren fegten die erzkonservative Staatspartei Fianna Fáil und die Grünen aus dem Amt und ersetzten sie durch eine Koalition der wirtschaftsliberalen Partei Fine Gael mit der rechtssozialdemokratischen Labour Party. Geändert hat das wenig. Die Arbeitslosigkeit (offiziell 15, real eher 25 Prozent) nimmt weiter zu; Armenküchen haben immer mehr Zulauf, ein Viertel aller Hausbesitzer - in Irland werden Wohnungen traditionell gekauft, nicht gemietet - kann die Hypotheken nicht begleichen. Und jede Woche wandern tausend Iren, zumeist gut ausgebildete Jugendliche, aus.

Und so geht es weiter. Das neueste Sparprogramm sieht weitere Stellenkürzungen im öffentlichen Dienst und im Gesundheitswesen vor, kürzt Schulbeihilfen für einkommensschwache Familien und nochmals das Kindergeld, erhöht Studiengebühren und Sozialbeiträge und reduziert die Bezugszeit des schon gekürzten Arbeitslosengeldes von zwölf auf neun Monate.

Außerdem will die Regierung unter Premier Enda Kenny Mitte 2013 eine Immobiliensteuer einführen. Das könnte zum Knackpunkt werden, hofft Ruth Coppinger von der Campaign against Household and Water Taxes (Kampagne gegen Haushalts- und Wassersteuern). Schon 2012 hatte die Regierung eine Haushaltsabgabe einführen wollen, scheiterte aber am Widerstand der Bevölkerung: »Die Hälfte aller Haushalte lehnte eine Registrierung ab und boykottierte die Gebühr«, sagt die linke Dubliner Stadträtin. »Jetzt mobilisieren wir gegen die Immobiliensteuer, weil sie die Einkommensschwachen überdurchschnittlich belastet.«

Dass es so lange dauerte, bis sich die Iren wehrten, »hat zum Teil mit der Regierungspropaganda zu tun«, glaubt der Republikaner und Sozialist Tommy McKearney: »Der Slogan ›Ihr habt über eure Verhältnisse gelebt‹ kommt noch immer an. Viele glauben auch, dass die Krise bald ein Ende hat.« Dabei lag das Haushaltsdefizit im September mit rund zwölf Prozent noch über dem von Griechenland. Und dann, so McKearney, »unterstützen die Gewerkschaftsspitzen den Kurs der mit ihnen verbandelten Labour Party«. Opposition komme nur von unten - von Basisgewerkschaftern im Dubliner Ortskartell, von den außerparlamentarischen Initiativen und vom linken Parteienbündnis United Left Alliance mit seinen fünf Abgeordneten.

Zwei Mal hat die irische Bevölkerung EU-Verträge abgelehnt und jeweils erst im zweiten Anlauf zugestimmt - als mit dem Rauswurf Irlands aus der EU gedroht wurde. Davon abgesehen habe man sich mustergültig verhalten und alles abgenickt, sagt McKearney, »weil die meisten Iren in der EU vor allem eine Institution sehen, die uns manchmal Geld gibt oder Kredite zu mehr oder wenigen hohen Zinsen gewährt. Mehr nicht.« Für viele sei Angela Merkel derzeit die Chefin der EU. »Man liebt sie nicht, aber man will es sich mit ihr auch nicht verscherzen.« Wenn die Troika die Daumenschrauben jedoch weiter anzieht, könnte der Langmut bald ein Ende haben.


Dublins Vorhaben für die Ratspräsidentschaft

2013 blickt Irland - gemeinsam mit Dänemark und Großbritannien - auf 40 Jahre EU-Mitgliedschaft zurück. Zum siebten Mal bereits übernimmt das Land daher den EU-Ratsvorsitz und koordiniert ein halbes Jahr lang die Tagesordnung der Ministerräte. Irlands Vorgänger war Zypern.

Bei der Vorstellung der Prioritäten der irischen Ratspräsidentschaft erklärte Vizepremier und Außenminister Eamon Gilmore den »nachhaltigen Wiederaufschwung mit Blick auf die Menschen« zum Ziel. Dabei könne sein Land Erfahrungen aus der Wirtschaftskrise nutzen.

Irland wolle sich für ein umfassendes Legislativprogramm zur Schaffung von Arbeitsplätzen einsetzen, insbesondere für den digitalen Sektor sowie für kleine und mittlere Unternehmen. Ein Schwerpunkt soll dabei auf den Problemen junger Menschen liegen. Die Jugendarbeitslosigkeit habe mittlerweile in 13 EU-Mitgliedsstaaten einen »inakzeptablen Stand« von über 25 Prozent erreicht. Daher unterstützt Irland die von der EU-Kommission angestrebte Einführung einer Jugendgarantie.

Auch der Handel wird eine Priorität sein. Irland will die handelspolitischen Gespräche mit strategischen Partnern wie den USA und Japan intensivieren und hofft, die laufenden Verhandlungen mit Kanada und Singapur zum Abschluss zu bringen.

Irland wolle sich auch auf die Stabilisierung des europäischen Bankensystems durch die Einrichtung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus' und durch verbesserte wirtschaftliche Koordinierung konzentrieren. Des Weiteren soll auf eine Einigung zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen 2014 bis 2020 hingewirkt werden. Fortschritte sollen bei der Umsetzung der Digitalen Agenda und beim Binnenmarkt erzielt werden. kah

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