Jenseits der Steinbrück-Festspiele: Die SPD hat nicht nur ein Kandidaten-Problem
Vor dem Gong zur nächsten Runde hat der Kandidat selbst auch etwas beizutragen. Im „Tagesspiegel am Sonntag" erklärt Steinbrück, was er eigentlich mit seinem Hinweis auf das vergleichsweise zu geringe Kanzlergehalt gemeint habe. Und kollert zugleich gegen jene, die das mindestens politisch unsensibel fanden. „Dass es jetzt heißt, ich sollte solche Sätze nicht sagen, weil ich Kanzlerkandidat bin, darüber sollten andere nachdenken. Ich sage, was ich denke, und ich tue, was ich sage."
Nun gut, denkt man sich. Zumal, wenn man zugleich in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" liest, dass der Mann, der sich darüber mokierte, die Kanzlerin der Bundesrepublik verdiene weniger als beinahe „jeder Sparkassendirektor in Nordrhein-Westfalen", selbst gern eine Art Oberdirektor der Sparkassen werden wollte. Und zwar 1998 in Schleswig-Holstein. Es wurde dann aber daraus nicht, schreibt die Zeitung, „weil seine Partei dagegen war".
... Kanzler werden dagegen sehr
Erhard Eppler, vielleicht einer der wenigen Intellektuellen, welche die SPD noch zu bieten hat, hat dem "Spiegel" den schönen Hinweis in den Block diktiert: „Für manche Politiker gilt: Kanzler werden ist nicht schwer, Kanzler sein dagegen sehr. Bei Peer Steinbrück scheint es umgekehrt zu sein." Dass sie deshalb doch noch von ihm ablassen könnte, glaubt indes kaum jemand - auch wenn einige Politiker der Linkspartei noch so sehr darauf drängen mögen.Das widerspricht natürlich dem gesunden Menschenverstand – wie kann die SPD diesem Kapitän auf allen Fettnäpfchen noch Gefolgschaft schwören? Zumal es da doch die angeblich allseits beliebte Hannelore Kraft gibt, die sozusagen automatisch und durch bloße Benennung die Begeisterung für die Sozialdemokratie in neue Höhen schrauben würde. Wirklich? Peter Unfried hat in der „Tageszeitung" dazu eigentlich schon alles gesagt: „Das Problem der SPD ist die SPD."
Oder anders gesprochen: Was wäre denn wirklich der Unterschied, wenn nicht Steinbrück in den unseligen weil verfassungspolitisch fragwürdigen Umfragen nach der aus guten Gründen hierzulande nicht vorgesehenen Direktwahl des Regierungschefs als SPD-Kandidat figurieren würde, sondern etwa Sigmar Gabriel, Hannelore Kraft - oder Bernd Banschkus, der Vorsitzende des SPD-Kreisverbandes Olpe?
Warum wird die SPD gewählt?
Zum Ende des vergangenen Jahres hatte Infratest im Rahmen seines „Deutschlandtrends" gefragt „Was glauben Sie: Wird die Union bei der nächsten Bundestagswahl in erster Linie wegen Angela Merkel, wegen der politischen Inhalte von CDU/CSU oder wegen beidem gewählt? Und wird die SPD bei der nächsten Bundestagswahl wegen Peer Steinbrück, wegen der politischen Inhalte der SPD oder wegen beidem gewählt?"Und, was glauben Sie? Jeweils rund 40 Prozent der Befragten sagen, Union oder Sozialdemokraten würden wegen Kandidat und Inhalt gewählt - bei einer etwa genauso großen Gruppe teilen sich die Ansichten aber fundamental. 44 Prozent meinen, die Union werde wegen Angela Merkel angekreuzt, nur 10 Prozent glauben auch, dass die SPD wegen Steinbrück gewählt werde. Umgekehrt sagen 43 Prozent, die Sozialdemokraten würden wegen ihrer politischen Inhalte auf Zustimmung hoffen können, und nur sieben Prozent denken, die Union würde wegen ihres Programms gewählt.
Nun könnte man ebenso gut sagen, dass in solchen Umfrageergebnissen bereits die schlechte Performance des sozialdemokratischen Sparkassendirektors, Entschuldigung: Kanzlerkandidaten eingepreist ist. Wer eigentlich schon ganz gern SPD wählen möchte, aus Tradition oder sonst welchen Gründen, wird sich das angesichts der als peinlich erfahrenen Äußerungen und Berichte über den Spitzenkandidat als vorrangig programmatisch begründet schönreden. Und unter jenen, die Zeitung lesen ohne SPD-Freunde zu sein, werden es viele einfach nicht mehr für möglich halten, dass dieser Peer Steinbrück bei irgendwem noch irgendeinen besonderen Ausschlag für das Wahlverhalten geben könnte - außer einen negativen.
Alltagserfahrung mit rot-grüner Politik
Vor ein paar Jahren hat der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte den Zusammenhang zwischen Kandidatenbeliebtheit und Ergebnis der Bundestagswahlen 2005 untersucht (bei der Bundeszentrale für politische Bildung hat man in der Überschrift offenbar das Jahr verwechselt) - und ist zu dem Schluss gekommen: „Wäre das Personalangebot der Parteien das einzig und allein entscheidende Kriterium bei der Wahl gewesen, wie von einigen Medien suggeriert, hätte die Wahl zu einem Triumph für die SPD werden müssen."Gerhard Schröder konnte damals im Vergleich zu Angela Merkel „dauerhaft höhere Popularitätswerte" einheimsen. „Je näher der Wahltermin rückte, umso größer wurde sein Vorsprung", schreibt Korte. Doch die Bundestagswahl ist kein Schönheitswettbewerb, am Abend des 18. September 2005 lag die Union ein Prozent vor der SPD, was Schröder auch durch seinen legendären Machoauftritt in der Elefantenrunde nicht mehr ändern konnte. „Die Kandidatenfrage wurde von den Wählerinnen und Wählern gegenüber inhaltlichen Positionen als nachrangig betrachtet", schreibt Korte.
Und der Politologe erinnerte an etwas, das auch heute noch Gültigkeit beanspruchen dürfte: „Die SPD litt indes an dem von vielen Bürgerinnen und Bürgern erfahrenen Widerspruch zwischen alltäglich erlebter sozialer Ungerechtigkeit und dem Anspruch, immerwährende Schutzmacht der kleinen Leute zu sein. (...) Die rhetorische und klassenkämpferisch angelegte Re-Traditionalisierung im Wahlkampf der SPD hingegen entlarvten die Menschen als Kampagne. Sie widersprach ihrer Alltagserfahrung mit rot-grüner Politik." Oder, um noch einmal Peter Unfried zu zitieren: „Das Problem der SPD ist die SPD."
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