Ein Hafen für die Klassik

Das Atos Trio bringt kammermusikalische Sternstunden nach Neukölln

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Neukölln ist angesagt. Hier florieren die Kunstszene und ein multikulturelles Nachtleben. Nur die klassische Musik macht nach wie vor einen Bogen um die Gegend. Die Musiker des Atos Klaviertrios sind also durchaus Pioniere, wenn sie sich mit einer eigenen Konzertreihe an die Karl-Marx-Straße, mitten ins Herz des »Problembezirks«, wagen. Sie wollen junge Leute aus dem Kiez anlocken und zugleich »gutbürgerliche« Konzertgänger anderer Stadtbezirke zum Ausflug nach Neukölln ermuntern. Bislang ging diese Rechnung auf; die Aufführungen waren gut besucht. Wobei sich das Atos Trio mit dem Heimathafen auch einen der schönsten Veranstaltungsorte der Stadt ausgesucht hat: einen ehemaligen Ballsaal, der mit seinen dezent vergilbten weiß-goldenen Wänden und der geschwungenen Empore den Charme vergangener Zeiten bewahrt.

Den Konzertabend am Freitag eröffneten die Musiker mit Josef Suk, der mit seinem Klaviertrio c-Moll als 15-Jähriger den Kompositionsunterricht bei Antonín Dvořák antrat. Das Stück zeigt zwar Begabung und jugendlichen Charme; angesichts der an diesem Abend folgenden Meisterwerke mutete es jedoch wie eine bloße Aufwärmübung an. Die Qualitäten des Atos Trios wurden gleichwohl vom ersten Takt an deutlich: Beseelt und innig ist die Zwiesprache zwischen der Geigerin Annette von Hehn und dem Cellisten Stefan Heinemeyer. Der Streicherklang verbindet sich in ausgewogener Balance mit dem facettenreichen Klavierspiel von Thomas Hoppe, dem man im Heimathafen einen warm klingenden Bechstein-Flügel zur Verfügung stellt.

Das vor zehn Jahren in Berlin gegründete Ensemble gehört zu jener Handvoll deutscher Klaviertrios, die international erfolgreich sind. Angesichts zahlreicher Gastauftritte in aller Welt hat sich bei den Musikern der Wunsch nach einer eigenen Konzertreihe in der Heimatstadt eingestellt. Im November ging es los mit Werken von Schubert und Beethoven. Diese beiden Komponisten legten den Grundstein für das Klaviertrio, die wichtigste kammermusikalische Gattung neben dem Streichquartett. Derlei Hintergründe wurden von einer Moderatorin kurzweilig erklärt - eine schöne Alternative zum Programmheft, das in der Hektik der Sitzplatzsuche oft ungelesen weggesteckt wird.

Diesmal widmete sich das Atos Trio böhmisch-tschechischen Klängen, verbunden mit den Namen Smetana und Dvořák. Wobei das Ensemble mit dem Klischee, deren Musik schwinge stets fröhlich-harmlos das Tanzbein, gründlich aufräumte. Bedřich Smetana nämlich verarbeitete in seinem einzigen Klaviertrio den Scharlach-Tod seiner vierjährigen Tochter. Die Atos-Musiker fühlten sich in das Innenleben des Komponisten ein und loteten das Spannungsfeld zwischen schmerzlicher Klage, wehmütiger Erinnerung und tröstlicher Hoffnung aus.

Auch Antonín Dvořáks Trio f-Moll entstand in einer Krise; der Komponist schrieb es nach dem Tod seiner Mutter. Im Hinblick auf Klangfülle, Dauer und Anspruch sprengt es die Grenzen der Kammermusik. Energisch und ungestüm ging das Atos Trio dieses Stück an; die Musiker schufen scharfe Kontraste zwischen bleiern lethargischen, geisterhaft nervösen und kraftvoll pathetischen Passagen. Schließlich beeindruckte der langwierige, dornenreiche Durchbruch von Moll nach Dur. Dieser seit Beethoven eigentlich abgenutzte Effekt wurde hier als meisterhaftes Ausdrucksmittel erkennbar: Die Durtonart entpuppte sich wie ein Falter, der sich qualvoll und zielstrebig aus seinem Kokon zwängt.

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