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Ein Springbrunnen mit hüpfenden Bällen
Sait Faik Abasiyanik: Seine »Geschichten aus Istanbul« erscheinen erstmals auf Deutsch
Im deutschsprachigen Raum hat es kurze Prosa nicht leicht. Meist kommt das Argument, dass man sich gerade an den Helden einer Erzählung gewöhnt hätte und dann sei sie schon aus. Dass das so nicht stimmt, zeigt der türkische Schriftsteller Sait Faik Abasiyanik, der von 1906 bis 1954 lebte. In seinen wunderbaren »Geschichten aus Istanbul«, von Gerhard Meier erstmals ins Deutsche übertragen, spielt nämlich der Erzähler eine zentrale Rolle. Immer wieder meldet er sich zu Wort, so dass er den Leser durch das Buch begleitet, ganz wie der Held eines Romans. Außerdem machen seine Texte Lust aufs Denken. Denn die Kürze der Form lädt immer wieder zur Reflexion ein. Das gilt auch für die Pointe, die bei Abasiyanik mehr Fragen offen lässt, als sie beantwortet.
Dieses reflexive Element geht einher mit Poesie, die dem Nobelpreisträger Orhan Pamuk so an Abasiyaniks Geschichten gefällt. Und es stellt auch nicht die Liebe des Erzählers zu seinen Figuren in Frage. Im Gegenteil, auch wenn Abasiyanik diese, nicht zuletzt durch die Kürze der Form, auf Abstand hält, vermittelt er doch das Gefühl tiefer Sympathie für sie.
Es sind Menschen, denen er dort begegnet ist, wo er sich aufgehalten hat: in Kaffeehäusern, am Hafen oder auf den Prinzeninseln vor Istanbul, wo zu seiner Zeit noch Türken, Griechen, Armenier und Juden zusammen gelebt haben. Da ist zum Beispiel Apostol, der griechische Fischer, der mit der stinkenden Kopfhaut von Ziegen im Marmarameer auf Hummerjagd geht. Die Ausbeute ist gering, und Apostol ist lange arm geblieben. Er sagt, dass der Köder stinken muss, damit der Hummer ins Netz geht. »Geldverdienen ist eine stinkende, dreckige Angelegenheit, aber Gestank ist nicht gleich Gestank, denn mancher Gestank, so wie der meine hier, ist ganz offensichtlich, aber bei anderen stinkt es heimlich.« Am Ende wird die Erzählung immer melancholischer, denn eines Tages stirbt Apostol mit über achtzig Jahren. Man verweigert ihm, dass er mit seinem Hummernetz, mit dem er siebzig Jahre lang jeden Tag aufs Meer gefahren ist, begraben wird.
Sait Faik Abasiyanik hat sich vor allem für die einfachen Leute interessiert. Er beschreibt ihre Nöte und ihr Glück und das, was sie über Gott und die Welt denken. Aber es war auch ein anderer Aspekt, weshalb sie ihm sympathisch waren. In der Geschichte »Der Brunnen« fragt sich der Erzähler selbst: »Was hat es zu bedeuten, wenn ein gestandener Mann im Herzen noch die Freuden und Leiden eines Zwanzigjährigen verspürt? Sind das Anzeichen einer Verspätung?« Deprimiert setzt er sich auf eine Bank vor einen abgestellten Springbrunnen. Neben ihm sitzt ein Ehepaar aus einem kleinen Dorf an der bulgarischen Grenze. Die Frau ist das erste Mal in Istanbul und staunt über alles, was sie sieht. Ständig fragt sie ihren Mann, der hat aber genauso wenig Ahnung wie sie. Am Ende wenden sich die beiden an den Erzähler, und die Frau fragt ihn: »›Also, ich hab mal gehört, wenn so ein Springbrunnen an ist, dann wird ein Plastikball oben reingelegt, und der bleibt dann oben und tanzt herum. Ist das hier auch so?‹ Der Mann um die fünfzig, die Frau kaum jünger. Und denken an Springbrunnen und darauf herumhüpfende Bälle. Die beiden sind noch kindischer als ich. Mein Verdruss verfliegt allmählich, und ich werde ganz munter.«
Sait Faik Abasiyanik: Geschichten aus Istanbul. Aus dem Türkischen und mit einem Nachwort von Gerhard Meier. Manesse Verlag. 384 S., geb., 22,95 €.
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