Handicap bleibt Hindernis

LINKE fordert von Senat schnellere Einführung der inklusiven Schule

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bildungsbereich geht es längst nicht mehr um die Frage, ob die Inklusion behinderter Kinder an Regelschulen eines Tages der Normalzustand wird, sondern wie schnell eine Umsetzung stattfindet.

Regina Kittler, bildungspolitische Sprecherin der LINKEN im Abgeordnetenhaus, moniert, dass sich der Senat zu viel Zeit lässt. Ein noch unter Bildungssenator Jürgen Zöllner auf den Weg gebrachtes Reformprojekt wurde von dessen Nachfolgerin Sandra Scheeres (beide SPD), nach massiver Kritik von Opposition und Elternverbänden Anfang 2012, auf Eis gelegt. Seitdem arbeitet der Beirat »Inklusive Schule für Berlin« an einer Überarbeitung der Vorschläge. Ende Januar sollen erste Empfehlungen veröffentlicht werden.

Fakten zur Inklusion

● Aktuell lernen laut Bildungsverwaltung bereits 9500 Schüler mit so genannten »sonderpädagogischen Förderbedarf« an Berliner Regelschulen. Die entspricht etwa der Hälfte aller behinderten Kinder. Deutschlandweit gibt es etwa eine halbe Million verhaltensauffällige, lern- oder körperbehinderte Schüler.

● Laut Zahlen der Kultusministerkonferenz besucht bundesweit nicht einmal jedes vierte Kind mit zusätzlichen Förderbedarf eine Regelschule. Schlusslichter der Entwicklung sind die Länder Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Berlin ist neben Brandenburg, Bremen und Schleswig-Holstein dagegen Vorreiter.

● In Berliner Kindergärten werden zur Zeit rund 6000 Kinder mit Behinderung betreut. Nahezu jedes Kinder erhält dabei eine integrative Betreuung in einer regulären Einrichtung.

● Zwei Drittel der Deutschen glauben laut einer aktuellen Forsa-Umfrage, der gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung könnte funktionieren.

 

Für die Linksfraktion ist dies Anlass, mit einem sieben Punkte umfassenden Forderungskatalog weiter Druck auf den Senat auszuüben. Kittler will, dass die Senatsverwaltung bis Mai einen »verbindlichen zeitbezogenen Stufenplan« zur flächendeckenden Einführung inklusiver Schulen vorlegt. Streit dürfte es vor allem beim Thema Finanzierung geben. Die Bildungsexpertin schätzt die Kosten für den barrierenfreien Umbau aller etwa 800 Berliner Schulen auf rund 400 Millionen Euro. Bisherige Pläne des Senats sehen dagegen eine kostenneutrale Umstellung vor. »Dieser Finanzplan darf kein Sparplan sein«, fordert Kittler.

Die Gelder werden unter anderem für rollstuhlgerechte Zugänge, Blindenleitsysteme und eine bessere Schalldämmung, die für Hörgeschädigte notwendig ist, benötigt. Zudem müssten 300 Lehrerstellen mit einer sonderpädagogischen Ausrichtung geschaffen werden. Stellen, die es laut Kittler bereits gab, allerdings bei der Schließung von Förderschulen nicht mit an die Regelschulen übernommen wurden.

Eine der wohl wichtigsten Forderungen ist für die LINKE die Verankerung eines gesetzlichen Rechtsanspruchs auf gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern an einer Regelschule. Während Inklusion im Bereich der Berliner Kindergärten bereits gelebter Alltag sei, gibt es an den Schulen noch erheblichen Nachholebedarf. »Für viele behinderte Kinder kommt es zum Bruch, wenn sie vom Kindergarten in die Schule wechseln, da viele häufig nicht in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können«, erklärt Kittler. Gleichzeitig müssten Eltern zumindest für eine Übergangszeit der Umstellung auch ein Wahlrecht besitzen, ihren Nachwuchs weiterhin an eine Förderschule zu schicken.

Wie oft die Realität der Politik voraus sein kann, zeigt das Beispiel der Paul-und-Charlotte-Kniese-Schule im Bezirk Lichtenberg. An der kooperativen Ganztagsschule werden sehbehinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam unterrichtet. Die Senatsbildungsverwaltung untersagte zunächst jedoch die Anmeldung neuer nichtbehinderter Siebtklässler für das kommende Schuljahr. Bildungssenatorin Scheeres wollte stattdessen erst einmal die Vorschläge des Inklusionsbeirates abwarten.

Schulleiterin Birgit Danicke und die Elternvertreter mussten Überzeugungsarbeit leisten. »Wir wollen nur umsetzen, was doch der Plan für ganz Berlin sein soll«, erzählt Danicke. Der Protest lohnte sich, die Schüler dürfen auch in Zukunft gemeinsam lernen.

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