Einkommensverteilung wird zum Thema in Davos
Beim Weltwirtschaftsforum macht man sich Gedanken um Ungleichheit, ohne Konsequenzen zu ziehen
Die Ungleichheit nimmt seit drei Jahrzehnten zu, nun ist sie auch Gesprächsstoff für die berüchtigten Kaminfeuergespräche der jahrelang ignoranten Eliten in Davos. Zum zweiten Mal in Folge hat das Weltwirtschaftsforum (WEF) sie auf den ersten Platz in der vom Forum veröffentlichten Liste der wahrscheinlichsten Risiken für die kommenden zehn Jahre gebracht. In den Krisenjahren 2008 bis 2010 hatte etwa der Zusammenbruch der Börsen noch als größtes Risiko gegolten. Und eine am Dienstag in Davos veröffentlichte Umfrage der Unternehmensberatung PriceWaterhoursCoopers unter Managern ergab, dass deren Hauptsorge derzeit größere soziale Unruhen sind, wo Krisen hart zuschlagen.
Ein breiteres Stimmungsbild liefert eine neue Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit dem Titel »Getrennt marschieren wir: Warum die Ungleichheit steigt«. Die Ergebnisse, die auf einer weltweit durchgeführten Umfrage unter 1000 Experten, Wirtschaftsführern, Wissenschaftlern und Vertretern der Zivilgesellschaft beruht, könnten auf ein Umdenken hinweisen. Denn der Trend zur ungleichen Verteilung der Einkommen lässt sich seit drei Jahrzehnten beobachten und hat längst auch egalitär ausgerichtete Volkswirtschaften wie jene der nordischen Staaten erfasst und macht auch vor Ländern mit staatlich dirigierten Wirtschaftssystemen wie China nicht Halt. »Die Ungleichheit hat unabhängig von der politischen Ausrichtung der Regierungen oder der konjunkturellen Entwicklung zugenommen«, sagt Michael Förster, sozialpolitischer Experte bei der OECD und Autor des Berichtes.
Praktisch überall lässt sich ein Zurückfahren der Umverteilungsbemühungen der Staaten ermitteln - bei gleichzeitig wachsender Ungleichheit bei Gehältern. In den Vereinigten Staaten etwa hält das oberste Prozent der Bestverdienenden heute rund 18 Prozent der gesamten Lohnsummen. Vor 30 Jahren waren es 8 Prozent.
Diese Entwicklung hat letztlich ideologische Gründe. Seit den 1970er Jahren setzte sich eine neue Denkschule durch, laut der Ungleichheit der Preis für eine dynamische, effiziente Volkswirtschaft sei. Der Fokus verlagerte sich auf die sich angeblich selbst regulierenden Märkte. Deregulierung und Privatisierung wurden zu quasi religiösen Dogmen der Wirtschaftspolitik. Der soziale Ausgleich geriet auch in der OECD aus dem Blick, erinnert sich Michael Förster, der seit einem Vierteljahrhundert für den Industrieländerclub arbeitet. Das hat sich aber geändert: So veröffentlichte die OECD im vergangenen Jahr Empfehlungen zur Reduktion der ungleichen Einkommensverteilung: Bildungsoffensiven, Mindestlöhne, eine aktive Immigrationspolitik, Umverteilung durch den Staat, progressive Einkommensteuern.
Das ist nichts Neues, doch es kommt aus einer Quelle, die den sozialen Ausgleich bislang kaum auf der Agenda hatte - so wie es auch das Risikobarometer des WEF andeutet. Auch in verschiedenen Regierungen der OECD-Staaten rücke der soziale Zusammenhalt mehr und mehr in den Fokus, meint Förster. Mit welchen Rezepten dieser gewährleistet werden könnte, darüber gibt es aber kaum Konsens. Die Krisenbewältigungsprogramme der vergangenen Jahre hätten unterschiedliche Resultate gezeigt. In Ländern wie den USA oder Großbritannien sei die Ungleichheit kurz gesunken, um dann wieder anzusteigen. In anderen Staaten wie Irland zeichne sich ein nachhaltiger Wandel ab. Die Ursachen sind laut OECD viel zu komplex, als dass ein Königsweg in Sicht wäre.
Beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac rechnet man auch deshalb nicht mit einem Umdenken in Davos. Zumal WEF-Gründer Klaus Schwab in seinem neuesten Buch weitere Kürzungen bei Löhnen und Sozialtransfers empfehle, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.
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