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Globale Kraftanstrengung
Es ist wenige Tage her, dass wir erschreckende Bilder von der Luftverschmutzung über Beijing auf unseren Bildschirmen sahen, oft mit nahezu hämischen Kommentaren versehen. Die Kehrseite des industriellen Booms, von dem wir durch günstige Erzeugnisse und immer mehr auch durch die Nachfrage für unsere Qualitätsprodukte durch die neue chinesische Mittelschicht profitieren, wird bei entsprechender Wetterlage mit ihrer ganzen katastrophalen Umweltbelastung sichtbar. Ohne einen schnellen Umstieg auf schadstoffarme, erneuerbare Energiegewinnung sind die neuen Dimensionen globaler Produktion für den Planeten nicht weiter tragbar.
Doch die Politik nutzt ihre Stellschrauben nicht, um positiv auf die Förderung erneuerbarer Energien Einfluss zu nehmen. Im Gegenteil: Schwarz-gelb hat durch willkürliche Kürzung der Fördermittel den Markt schrumpfen lassen und die Konkurrenzsituation für heimische Solarunternehmen dadurch existenzgefährdend verschärft. Nun, da der Ausbau der Solarenergie einbricht und die Energiewende gefährdet ist, brauchen wir dringend eine Veränderung des Anreizsystems, damit es nicht alle Privathaushalte sozial ungerecht belastet, den Markt nicht zum Stagnieren bringt, sondern die Installation erneuerbarer Energieerzeugung weiter beschleunigt, und die Feinde der Energiewende von den Stellschrauben an den Energienetzen entfernt.
Mit ihrer Mitteilung zur Zukunft der erneuerbaren Energien auf dem europäischen Energiemarkt hatte die EU-Kommission eine Reihe richtiger Thesen formuliert, inklusive der Bedeutung dezentraler Versorgungsstrukturen. Im Europäischen Parlament werden die Thesen derzeit diskutiert und ergänzt.
Der Gedankenhorizont der Kommission und der meisten Europaabgeordneten endet jedoch leider an den EU-Grenzen plus der Länder südlich des Mittelmeers. Damit leisten sie zwar mehr als die Bundesregierung, denn die denkt kaum weiter als bis Bayern. Aber auch die EU-Kommission will nicht anerkennen, dass die Energiewende eine gemeinsame, globale Kraftanstrengung erfordert. So werden zwar aus dem EU-Haushalt 4,5 Milliarden Euro in die Forschung zu erneuerbaren Energie investiert. Parallel forschen auch Amerikaner, Chinesen und Inder, jedoch ohne Synergieeffekte anzustreben, wodurch viel Geld doppelt ausgegeben wird.
Die globalen Herausforderungen im Umweltschutz können wir aber nicht durch Handelskriege bewältigen und dürfen sie auch nicht der Konkurrenz der Großkonzerne unterordnen. Politik hat die Aufgabe zu vermitteln und Handlungsrahmen vorzugeben. Konkret könnte sie die Kooperation und Gemeinschaftsunternehmen von europäischen, chinesischen, brasilianischen oder amerikanischen Firmen – gerade auch den klein- und mittelständischen – fördern, um die Verbreitung umweltverträglicher und dennoch bezahlbarer Technologien zu fördern. Dies würde auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit hoher Sozial- und Umweltstandards heben, deren Festschreibung wir Linke als Gesetzgeber international umsetzen wollen.
Vergessen wir nicht, dass die Verringerung der Bedeutung von Öl, Gas und Uran auch erhebliche Bedeutung für unsere Friedenspolitik hat. Die Kontrolle über diese Rohstoffreserven war und ist eine der wichtigsten Motivationen, um letztlich auch militärisch für ununterbrochene Produktions- und Absatzketten zu sorgen, wenn nötig auch durch Krieg. Öl- und Gasimporte sind zudem der größte Faktor für negative Handelsbilanzen vieler EU-Mitgliedsstaaten und Entwicklungsländer. Der weltweite Ausbau alternativer Energiequellen und regionaler, dezentraler Energieversorgung kann auch hier viel verändern.
Eine längere Fassung des Beitrages erscheint auf www.helmutscholz.eu
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