Wenn der Kiez kippt
Projekte von Vermietern und Mietervertretern versuchen Verarmung von Stadtteilen aufzuhalten
In vielen Innenstädten steigen die Mieten in Schwindel erregende Höhen. Sozial schwache Mieter werden an die Stadtränder verdrängt. »Es gibt eine Aufspaltung zwischen ärmeren und reicheren Bezirken in deutschen Städten«, sagt Frank Bielka, Vorstandsmitglied der Berliner degewo. Die Wohnungsbaugesellschaft ist nach eigenen Angaben mit 18 000 Wohnungen der größte Vermieter im Berliner Stadtteil Marzahn.
Vermieter wie die degewo haben ein eigenes Interesse, dass Randbezirke wie Marzahn sich nicht in soziale Brennpunkte verwandeln. »Irgendwo ballen sich die Probleme und das Irgendwo ist da, wo wir vermieten«, erklärt Axel Gedaschko, Präsident des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Um ein solches Abgleiten ein Stück weit verhindern zu können, hat die degewo zusammen mit anderen Marzahner Akteuren im Herbst 2010 das Modellprojekt »Jule« ins Leben gerufen. Es richtet sich an junge alleinerziehende Mütter und Väter im Alter zwischen 18 und 27 Jahren, die aufgrund von Arbeitslosigkeit oder fehlenden Ausbildungsabschlüssen von Sozialleistungen leben.
Das Ziel des Projektes ist es, den jungen Eltern bei der Suche nach einem Arbeitsplatz oder einer Ausbildungsstelle zu helfen. Nach einer Übergangsphase von maximal fünf Jahren sollen diese fähig sein, ihren Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbsarbeit sichern können. Die degewo stellt in einem Haus 15 Wohnungen nebst eines rund 200 Quadratmeter großen Gemeinschaftsraums für die jungen Familien zur Verfügung.
Dafür erhielt »Jule« gestern neben neun anderen Stadtteilprojekten den »Preis Soziale Stadt 2012«. Ausgelobt wird der Preis vom »Bündnis für eine Soziale Stadt«, bei dem neben dem GdW unter anderem der Deutsche Städtetag und der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) mitmachen. Auch der Deutsche Mieterbund (DMB) ist mit von der Partie.
Manche Aufwertungen führen zwar zu steigenden Mieten, doch für DMB-Direktor Lukas Siebenkotten sind, wenn ein Kiez abrutscht, meist die Mieter die Betroffenen. »Wir sind sehr daran interessiert, dass Mieter aktiv in die Stadtteilarbeit eingebunden werden«, sagt er. Aufwertungsprojekte dürften nicht von »oben herab« organisiert werden.
Für die Förderung solcher Initiativen hat das Bundesministerium für Verkehr und Städtebau 1999 das Programm »Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - Soziale Stadt« aufgelegt. Bis ins Jahr 2011 hat der Bund dafür insgesamt rund 963 Millionen Euro bereit gestellt. Doch Union und FDP kürzten die Mittel dafür drastisch. Räumte die Bundesregierung 2010 noch einen Etat von 95 Millionen Euro für das Programm ein, waren es 2011 nur 28,5 Millionen Euro. Für 2013 sind derzeit 40 Millionen Euro eingeplant.
Das »Bündnis für eine Soziale Stadt« fordert deswegen die Anhebung der Mittel auf das Niveau von 2010. Für das zuständige Ministerium ist »Soziale Stadt« zwar ein »tolles Projekt«, doch kritisieren will man den Haushaltsausschuss für die Kürzungen nicht.
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