Überflüssig? Die Linkspartei und der Westen

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.

„Überflüssig“, so belehrt der Duden, sei etwas, das „für einen Zweck nicht erforderlich und ihm nicht dienlich, daher überzählig und unnütz“ ist. In dem Begriff steckt noch eine Nebenbedeutung, man muss ihn nur wörtlich nehmen: da existiert etwas „über das angemessene Maß hinaus“, es fließt gewissermaßen über den Rand einer eben doch bestehenden Notwendigkeit hinweg. Von etwas, das als „überflüssig“ bezeichnet wird, wäre demnach zumindest ein Teil eben das nicht: überflüssig. Aber das sind sprachliche Korinthenkackereien.

Jedenfalls darf angenommen werden, dass Sigmar Gabriel nicht Bedeutungsspielereien im Sinn hatte, als er im März 2010 seinen Sozialdemokraten aufgab, „alles“ zu tun, um die Linkspartei „zumindest im Westen Deutschlands überflüssig zu machen“. Der SPD-Vorsitzende hat seinerzeit in einen Satz gegossen, was schon in den Jahren davor und auch seither so etwas wie eine Generallinie der Sozialdemokraten ist: der Linkspartei den parteipolitischen Existenzboden unter den Füßen wegzuziehen.

Die SPD bringt dabei mehrere Instrumente in Anschlag, mal spricht sie der Linkspartei die Regierungsfähigkeit ab, mal verweigert sie der Linkspartei die Kooperation auch praktisch. Hängen bleiben soll: Selbst wenn die LINKE gute Forderungen im Köcher hat, so wird sie ihre Pfeile doch nie ins Ziel bringen, weil dazu der Flitzebogen einer gemeinsamen Mehrheit nötig wäre - und den geben wir der Linkspartei nicht in die Hand. Wie zentral der SPD dieses taktische Anliegen ist, kann man daran erkennen, dass sie notfalls auch ihre politischen Forderungen aufgab - und hier oder dort lieber mit der Union koalierte.

Wenn in der Linkspartei über die Ursachen der Wahlniederlage in Niedersachsen diskutiert wird, gehört dieser Punkt mit ins Zentrum: die Strategie der SPD (und in gewisser Weise auch der Grünen), die Linkspartei „überflüssig“ zu machen. Zu reden wäre über verschiedene Dimensionen. Über die inhaltliche - die rhetorische Linksverschiebung vor allem der SPD , die Besetzung symbolische wichtiger Politikfelder wie des gesetzlichen Mindestlohns usw. Aber auch über das taktische Moment, das jede Stimme für die Linkspartei als Beitrag zur Verhinderung einer rot-grünen Mehrheit und damit der Ablösung von Schwarz-Gelb darstellt.

Die Linkspartei hat auf diese Strategie noch keine wirksame Antwort gefunden. Weder der lange Zeit dominierende Modus „Konflikt“ konnte den Rückgang der Zustimmung aufhalten noch schaffte dies in Niedersachsen der nun deutlicher betonte Modus „Kooperation“. Mit Ursachenforschung, die vor allem die Demoskopen beschuldigt oder die Medien, mit Erklärungsversuchen, bei denen der SPD vorgeworfen wird, Forderungen der Linkspartei „geklaut“ zu haben, kommt man sicher nicht allzu weit. (Und man kann sich fragen, ob der innerparteiliche Diskurs darüber, wann und wie sich die Partei selbst "überflüssig" machen könnte, die negative "Erzählung" einer nicht benötigten LINKEN sogar stärkt.)

Neue Umfragen

Interessant erscheint, dass in Umfragen das Image der Linkspartei in Niedersachsen sich im vergangenen Jahr sogar etwas verbessert hatte - die Zahl der Menschen, die meinen, die Linkspartei sei in dem Bundesland wie überhaupt im Westen „überflüssig“ ist aber dennoch ziemlich groß. In den letzten Tagen ist das Thema auch in einer Reihe von Umfragen behandelt worden. Bei Infratest sagten unmittelbar nach der Niedersachsenwahl 47 Prozent, die LINKE sei eine „Ost-Partei, die im Westen nicht gebraucht wird“. In einem Politbarometer, das auf Antworten aus der Zeit vor der Wahl sowie am Wahltag basierte, gaben 60 Prozent an, dass die LINKE „als Partei im Westen nicht mehr gebraucht“ würde.

In einem weiteren Politbarometer, das in der Woche nach der Wahl erhoben wurde - also bereits unter dem Eindruck einer beherrschenden medialen Deutung, derzufolge die Linkspartei immer tiefer in der West-Krise stecke -, waren es dann schon 67 Prozent, die der Meinung waren, die LINKE werde „als Partei im Westen“ nicht mehr gebraucht. (Die Ergebnisse dieser Frage sind nur in der PDF-Fassung des Politbarometers Januar II aufgeführt.) Selbst im Osten, wo die Linkspartei immer noch eine relativ breite Zustimmung genießt, sagten 45 Prozent, in den „alten Ländern“ werde die LINKE nicht gebraucht. Und sogar unter den Anhängern der Partei betrachten neun Prozent deren Westexistenz offenbar als überflüssig.

Einerseits. Andererseits bleibt den zahlen zufolge ein nicht zu vernachlässigender Teil der Wähler dabei: die Linkspartei werde auch im Westen gebraucht. Insgesamt sind es über ein Viertel, unter Anhängern der SPD sagen dies 27 Prozent, in der Wählerschaft der Grünen meinen dies 34 Prozent. Schaut man sich dazu noch an, wie groß die Zahl derer ist, die sich immerhin vorstellen könnten, die Linkspartei zu wählen - für Bundestagswahlen liegt dieses Potenzial im Westen seit Jahren um die 13 Prozent - wird, bei aller nötigen Skepsis gegenüber Umfragen, eines erkennbar: Es ist ganz sicher nicht „überflüssig“, darüber zu diskutieren, warum die Linkspartei ihre Möglichkeiten nicht ausschöpft.

Nachtrag, 27.1.: Detlef Belau von der Antikapitalistischen Linken legt Wert auf die Feststellung, dass die Strömung nicht - wie oben zu lesen - der Meinung ist, es gebe »keine ,Mehrheit links von der Mitte‘«, alle entsprechenden Äußerungen von Linkspolitikern seien einem »Regierungsfetischismus« geschuldet, der Wähler eher abstoße. Das Argument sei vielmehr gewesen, dass gegenwärtig eine Machtperspektive fehle, »weil SPD und Grüne nicht zur Koalition bereit sind. Wer bei fehlender Koalitionsbereitschaft der Partner die Regierung anstrebt, darf sich tatsächlich Regierungsfetischist nennen.« Und Belau fragt: »Kennen sie vielleicht aktuelle und gültige Erklärungen seitens der SPD und Grünen, die eine Bereitschaft zur Koalition signalisieren? Katja Kipping und Bernd Riexinger haben in den letzten drei Monaten die Politik von SPD und Grünen in den zentralen Themen heftig, zum Teil mit sehr scharfen Worten kritisiert. Dies war aussagenlogisch so eindeutig, dass hier das Prinzip des zwischen zwei kontradiktorischen Gegensätzen stehende ausgeschlossene Mittlere gilt. Eine Partei geht nicht unbedingt den Weg der Bedeutungslosigkeit, wenn sie in Opposition steht oder im Parlament nicht vertreten ist.»

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.