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Früher weit weg, heute mitten drin

Jurymitglied Andreas Dresen im Interview

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Internationale Jury der 63. Berliner Filmfestspiele (7. bis 17. Februar) wird vom chinesischen Regisseur Wong Kar Wai geleitet. Gestern wurden nun die weiteren Mitglieder der Wettbewerbsjury für die Berlinale, eines der weltweit renommiertesten Filmfestivals, bekanntgegeben - zu ihnen gehört auch der deutsche Regisseur ANDREAS DRESEN.

nd: Andreas Dresen, woran denken Sie beim Wort Berlinale?
Dresen: Die Filmhochschule Babelsberg lag zu DDR-Zeiten unmittelbar an der Mauer zu Westberlin. Mit Wehmut dachten wir Studenten daran, dass nur wenige Kilometer Luftlinie uns von einem jährlichen Großereignis des Kinos trennten. Auch dieses Defizit trug dazu bei, dass wir uns alljährlich so begierig auf die Dokfilmwoche in Leipzig »stürzten«. Wir sehnten uns nach Sprengung eines paradoxen Zustands: dass wir durch Dogmen einer Weltanschauung, die uns klare Grenzen gesetzt hatte, an wirklicher Welt-Anschauung gehindert wurden.

Und irgendwann dann holten Filme von Andreas Dresen Berlinale-Preise.
Das sind nicht Filme »von Andreas Dresen«. Ich mag diese prononcierte Heraushebung des Regisseurs nicht, und das ist beileibe keine Koketterie. Film ist in sehr ernstem Sinne eine Gemeinschaftsarbeit, ich bin der Regisseur. Am liebsten wäre mir ein Begriff, der leider durch die Sprache des Dritten Reiches zu Unrecht als diskriminiert gilt: Spielleiter.

Was ist so besonders an dieser Definition?
Sie fasst die Schizophrenie meiner Arbeit sehr genau: Es geht um freies Spiel, aber um dieses Spiel in Gang zu setzen und in Gang zu halten, sind freilich Regeln nötig. Der Begriff vereint Fantasie und Planung, Laune und Logistik, den Spaß und die ernsthafte Organisation der Dinge.

Der Film »Halbe Treppe« gewann 2002 den Silbernen Bären. Drei Jahre vorher, 1999, hatte Michael Gwisdek den Silbernen Bären für den besten Schauspieler bekommen - für eine Rolle in »Nachtgestalten«.
»Nachtgestalten« war ein Film, der keinen Verleih fand. Wir hatten jahrelang um dieses Projekt gekämpft, waren verschuldet und todunglücklich. Wirklich, meine Zukunft als Regisseur stand auf der Kippe. Da reichte mein Produzent Peter Rommel den Film bei der »Berlinale« ein. Ich hielt das für sehr bitteren Galgenhumor. Plötzlich aber geschah das Wunder: Wir waren im Wettbewerb, es gab einen Preis - und mit einem Male warben um diesen Film all jene Verleiher, die ihn kurz vorher noch kalt abgelehnt hatten.

Welche Erinnerungen haben Sie an den Aufführungstag der »Nachtgestalten«?
Angst, Zittern, Erlösung. Es gibt das »Berlinale«-Ritual, dass das Team vom Hotel die paar Meter zum Kino mit einer großen Limousine direkt vor den roten Teppich gefahren wird. Ich weigerte mich: »Nachtgestalten« ist ein Film über abgerissene, verzweifelte Menschen - und ich komme mit Pomp zur Vorführung. Aber die Zeremonie ist Tradition und seit Urzeiten vorgeschrieben. Meine Trotzhaltung ging bis zur Festivalleitung, und schließlich meinte mein Produzent verzweifelt, ich solle doch bitte nicht so humorlos sein. Das Argument zog, ich setzte mich ins Auto.

Und gingen über den roten Teppich.
Ja, aber seitdem weiß ich, dass man in den Zuschauenden den völlig falschen Eindruck eines Menschen erwecken kann, der es geschafft hat. Ich ging über den Teppich mit dem elenden Bewusstsein vom völlig ungewissen Schicksals des Films, der gleich laufen würde. Ich lächelte, war aber noch völlig am Boden.

Sind Jury-Entscheidungen ungerecht?
Natürlich. Aber hoffentlich geschieht die Ungerechtigkeit auf möglichst hohem Niveau.

Natürlich?
Kino ist subjektiv, also sind es die Wertungen auch. Bei der Interpretation von Filmen treffen Subjektivitäten aufeinander, sie geraten aneinander, sie streiten miteinander. Leben scheitert, Kunst scheitert, der Versuch des unangreifbaren Urteils scheitert zum Glück auch.

Zum Glück?
Es soll ja alles weitergehen. Jedes Festival-Urteil über Filme setzt einen Maßstab in die Welt, der auf nichts anderes wartet als auf praktischen Widerruf durch weitere Filme.

Widerruf durch neue Filme - die wieder scheitern?
Ja, aber der Auftrag von Festival zu Festival lautet, wie Beckett schrieb: »besser scheitern«. Jetzt bin ich erst mal sehr aufgeregt, sehr neugierig, und ich freue mich, tolle Leute des Weltkinos kennenlernen zu dürfen.

Interview: Hans-Dieter Schütt

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