Zahlenspiel mit Diskobeleuchtung
20 Indikatoren sollen zukünftig den Wohlstand der Gesellschaft messen
Was ist Wohlstand? Bis jetzt wurde immer das Bruttoinlandsprodukt (BIP) herangezogen, wenn es darum ging, ihn zu messen. Doch alle Parteien im Bundestag sind sich einig, dass diese Kennziffer nicht ausreicht, die vielen verschiedenen Facetten von Wohlstand gleichrangig abzubilden. Deswegen verabschiedete die Bundestags-Enquete-Kommission »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« mit sechs Gegenstimmen und zwei Enthaltungen gestern einen Vorschlag von Union, SPD und FDP zur Schaffung eines neuen Wohlstandsindexes. Für die Grünen und die LINKE ist der neue Indikatorenansatz fehlgeschlagen.
Das Problem am BIP ist, dass es lediglich den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen misst, die in einem Land produziert wurden. Es sagt deswegen nichts darüber aus, wie gerecht der Reichtum in der Gesellschaft verteilt ist oder ob die Arbeitslosigkeit hoch ist. Andere Faktoren wie Bildungsstand oder ökologische Nachhaltigkeit, die jenseits knallharter Wirtschaftsfakten den Zustand einer Gesellschaft messen sollen, kommen im BIP ebenso wenig vor.
Die Projektgruppe 2 der Wohlstands-Enquete-Kommission beschäftigte sich nun zwei Jahre lang mit der »Entwicklung eines ganzheitlichen Wohlfahrts- beziehungsweise Fortschrittsindikators«. Ihr Abschlussbericht bildet die Grundlage für den von der Kommission beschlossenen Vorschlag, der noch dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt werden muss. Neben einer materiellen Ebene sollen darin auch soziale und ökologische Faktoren mit jeweils drei bis vier Indikatoren gemessen werden. Zehn Warn- und Hinweislampen machen auf negative Entwicklungen aufmerksam.
Nach der Empfehlung der Mehrheit soll die materielle Seite des Wohlstands mit Hilfe des BIP pro Kopf, der Einkommensverteilung und der Schuldenstandsquote gemessen werden. Soziale Belange werden an Hand der Beschäftigungsquote, eines Maßes für die Bildung, der Lebenserwartung und des »Voice and Accountability«-Indexes als Freiheitsmaß gemessen. In die ökologische Wohlstandsdimension gehen die nationale Emission der Treibhausgase, der Stickstoffüberschuss in den Böden und die Artenvielfalt ein.
So einig sich die Kommissionsmitglieder gestern zeigten, dass sie eine Alternative zum BIP schaffen wollten, so sehr wurde auch deutlich, dass es schwierig ist, bei dem Wohlstandsbegriff auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. »Der Wohlfahrtsbegriff wird keine einheitliche Definition erfahren können, über die man nicht streiten kann«, sagte die Vorsitzende der Projektgruppe, Stefanie Vogelsang (CDU).
Denn das BIP ist zwar in seiner Aussagekraft begrenzt, doch es ist eine Zahl, bei der es keine Interpretationsspielräume gibt. Grüne und LINKE kritisieren an dem beschlossenen Index, dass er zu kompliziert sei. »Unsere Aufgabe in der Politik ist es, auch eine Richtung vorzugeben«, erklärte die grüne Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms. Ihre Fraktion setzt sich für einen sogenannten Wohlstandskompass ein, der gewährleisten soll, dass eine breite Öffentlichkeit politische Entscheidungen in allen Bereichen zeitnah bewerten kann.
Für Matthias Birkwald von der LINKEN ist der beschlossene Indikatorenansatz »ein abstruses Zahlenspiel mit Diskobeleuchtung«. Für ihn weisen einige Wohlstandsindikatoren erhebliche Mängel auf. So sei die Schieflage in der Einkommensverteilung »verharmlosend« dargestellt und die Schuldenquote alleine der öffentlichen Hand angelastet. Er setzt stattdessen auf ein »Trio der Lebensqualität«, das sich aus den durchschnittlichen Bruttogehältern, der Spaltung bei Vermögensbeständen und dem ökologischen Fußabdruck der Gesellschaft zusammensetzt.
Beistand für ihre Kritik erhielten LINKE und Grüne ausgerechnet von dem CDU-Sachverständigen Meinhard Miegel. »Der Auftrag der Enquete-Kommission ist nicht erfüllt«, sagte er und prognostizierte, dass das BIP weiterhin der einzige dominierende Indikator zur Messung von Wohlstand bleiben werde.
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