»Ich borge ihm meine Augen«
Bahnradfahrer Marcel Kalz startet im Behindertensport neu durch
»Der Sportpalast-Walzer« begleitete Montagnacht zur Geisterstunde im Berliner Velodrom die deutschen Meister Robert Bengsch und Marcel Kalz auf ihrer Ehrenrunde. Zu den gestrigen letzten Jagden war das Radduo als Spitzenreiter gestartet. »Es war sehr schön, aber nun sagen wir zu den Sechstagerennen bye, bye«, verkündete Kalz. »Am Donnerstag starten wir noch einmal in Kopenhagen und dann ist Schluss. Der Bundestrainer hat uns aus dem Nationalteam aussortiert.«
Jener Sven Meyer will eine neue junge Truppe aufbauen. Da musste sich Kalz nach neuen Möglichkeiten umtun, um mit seinem Sport dauerhaft leben zu können. Ohne Kaderstatus fällt schnell die Förderung der Bundeswehr weg. »Ich sehe weiter meine Zukunft in der Bundeswehr und beim Radsport«, warf er trotzdem einen positiven Blick voraus. Denn er hat im Behindertensport eine neue Chance gefunden.
Marcel Kalz ist zwar traurig über seine Degradierung, hängt dem Nationalteam aber nicht nach. Er suchte vielmehr neue Wege und fand sie ausgerechnet beim Behindertensportverband: »Ich bereite mich als Begleiter auf die Behinderten-WM 2014 und die Paralympics 2016 in Rio de Janeiro vor. Das ist eine riesige Aufgabe«, sagte Kalz. Willkommener Nebeneffekt: »So bleibe ich weiter bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr in Frankfurt (Oder).« Denn im Behindertensport waren noch Plätze in der Fördergruppe frei.
Kalz wird im März 26 Jahre alt. Eigentlich fängt nun eine Ausdauersportkarriere erst richtig an. Offensichtlich aber nicht beim Bund Deutscher Radfahrer. Dort setzt man neuerdings lieber auf 19- und 20-jährige Athleten. Allerdings noch kaum erfolgreich. Beim Weltcup in Mexiko trudelte der deutsche 4000-m-Bahnvierer vor zwei Wochen nach 4:20 Minuten über die Ziellinie. Volker Winkler, viermalige Mannschaftsweltmeister, schüttelte da nur den Kopf: »Die Zeit sind wir mit dem DDR-Vierer schon vor 30 Jahren auf Konsum-Rädern gefahren.«
Auch Robert Bengsch, lange Jahre Partner von Marcel Kalz, wird dem Radsport nach dem nahen Karriereende treu bleiben und als Sprecher im Berliner Radsportverband fungieren. »Ist doch super, wenn sich erfolgreiche Fahrer, weiter für unseren Sport einbringen«, meinte Kalz.
Der Ex-Europameister im Madison betreut nun also den sehbehinderten Radrennfahrer Christian Vaith aus Chemnitz. »Ich starte als Vordermann mit Christian auf dem Tandem. Für mich war das ungewohnt, auf einem Tandem zu sitzen. Inzwischen kommen wir mit dem Rad aber schon gut klar«, sagte Kalz, der vor zehn Tagen noch das Bremer Sechstagerennen gewann. »Ich borge, wenn man so will, Christian meine Augen. Ich spürte bereits beim Training, dass ich mit meiner Entscheidung einen jungen Sportler glücklich mache.« Die Planungen reichen sogar bis zu den Paralympics 2020.
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