Fragwürdige Traditionslinien
Wann wird Kritik an Israel antisemitisch?, fragt »neues deutschland«. Nun, wenn die Zeitung beispielsweise kurz vor der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 titelt: »In Prag regieren die Zionisten«. 30 Jahre zuvor hatte es im »Völkischen Beobachter geheißen: »In Prag regieren die Juden«.
Womit wir beim Kern der linken »Israel-Kritik« wären. Denn Kritik zielt hier, wie bei Karl Marx die Kritik der politischen Ökonomie, auf die Überwindung ihres Gegenstands - in diesem Fall Israels und der Juden. Das hat linke Tradition, die weit älter ist als der Zionismus. Schon in Marxens »Zur Judenfrage« 1844 heißt es: »Sobald es der Gesellschaft gelingt, das empirische Wesen des Judentums, den Schacher und seine Voraussetzungen aufzuheben, ist der Jude unmöglich geworden.« In anderen Worten: Das Judentum ist nur der Ausfluss einer überkommenen Gesellschaftsformation, und verliert mit deren Beseitigung auch seinen Existenzgrund. Dieser Logik folgend verweigerte Stalin in seiner Schrift »Marxismus und nationale Frage« 1913 den Juden als einziger Gruppe im Zarenreich die Anerkennung als Nationalität.
Nur dumm, dass die Juden sich an diese Vorstellung nie halten wollten. Selbst die Bolschewiki hatten ihre jüdische Sektion, die Jewsektija, die zwar eifrig den Kampf gegen »religiösen Aberglauben« führte, aber an der Identität der Juden als ethnisch-kultureller Entität, sprich: Nation, festhielt. Von den Zionisten ganz zu schweigen. Dass die 1948 einen eigenen jüdischen Staat errichteten, war die praktische Blamage allen theoretischen Geschwätzes von der »roten Assimilation«. Das hat die Linke bis heute den Juden nicht verziehen.
Zumal in dieser Linken, programmatischen Beteuerungen zum Trotz (Stalin: »Der Antisemitismus ist eine extreme Form des rassischen Chauvinismus, ist das gefährlichste Überbleibsel des Kannibalismus. ... Deshalb können Kommunisten als Internationalisten nur unversöhnliche, geschworene Feinde des Antisemitismus sein«), stets ganz ordinärer Judenhass mitschwang - von der antitrotzkistischen Kampagne der 20er Jahre über die »jüdische Ärzteverschwörung« und die »antikosmopolitischen« Schauprozessen in Prag und anderswo in den 1950ern bis zur Entfernung »zionistischer Elemente« aus Partei und Staat in Polen 1968. Der Antizionismus der kommunistischen Parteien machte nicht zufällig in seinen propagandistischen Mitteln Anleihen beim tradierten Antisemitismus: So manche »israelkritischen« Texte und Karikaturen in der sowjetischen und realsozialistischen Propaganda schienen fast 1:1 dem »Stürmer« entnommen.
Einen - bis heute aktuellen - strategischen Grund hatte der linke Antizionismus auch in einem vulgären Anti-Imperialismus, dem vermeintlich »progressive Nationalbewegungen« als quasi natürliche Bündnispartner der Arbeiterbewegung galten. Bisweilen fiel die Absurdität dieser Konstruktion selbst gestandenen Kommunisten auf, wie dem DKP-Urgestein Robert Steigerwald, der im Nachhinein einmal notierte, dass, während Kommunisten in verbündeten »fortschrittlichen« arabischen Staaten wie Irak und Syrien eingekerkert oder öffentlich auf Marktplätzen aufgeknüpft wurden, sie im »imperialistischen« Israel im Parlament saßen.
Ende des historischen Exkurses. Die Sowjetunion und das sozialistische Weltsystem sind im Papierkorb der Geschichte gelandet. Die politische Linke ist krachend gescheitert. Nur ihr Antizionismus hat überlebt. Ja mehr: Er ist inzwischen Gemeingut bis weit in die bürgerliche Mitte hinein. Wenigstens in diesem einen Punkt hat die Linke triumphiert. Gratulation, Genossen!
Von einer Linken, die für sich den Anspruch erhebt, die Irrtümer und, ja, auch Verbrechen ihrer eigenen Geschichte aufzuarbeiten, würde man allerdings erwarten, dass sie sich endlich auch einmal mit diesem Teil ihrer Tradition kritisch auseinandersetzt. Oder, wenn ihr dazu der Mut fehlt, wenigstens praktiziert, was der langjährige linke Marburger Kommunalpolitiker Georg Fülberth einmal sinngemäß so formuliert hat: Angesichts der deutschen Geschichte, ist vielleicht das Klügste, was deutsche Linke zum Nahostkonflikt tun können, den Mund zu halten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.