Den Dialog erschießen
Über Kunst in China
»Zur Lage der Kunst in China« heißt eine laufende Veranstaltungsreihe der Berliner Universität der Künste (UdK). Gemeinsam mit dem »Haus der Kulturen der Welt« sprechen über ein Jahr verteilt Kunst- und Kulturschaffende über die »vielschichtigen Perspektiven« von Chinas Kunstlandschaft. Referenten am 30. Januar zum Thema »Bewegung '85« waren Martina Köppel-Yang und Andreas Schmid, die in den 80ern in Beijing und Hangzou studierten. Die Bewegung ‘85 war eine künstlerische Avantgarde-Bewegung der 80er Jahre. Sie entstand nach vielen Jahren »kultureller Ödnis« - eine Folge der Kulturrevolution. Trotz der einsetzenden, massiven Unterdrückung blieb die Bewegung über Jahre lebendig, und übte starken Einfluss auf die Studentenbewegung aus. Sie trug zu den Protesten am Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 bei, auf deren blutiges Ende auch eine Niederschlagung der Kunstbewegung folgte.
Köppel-Yang, Kunsthistorikerin aus Paris, meint, dass das Gegensatzpaar »Untergrund« und »linientreu« den realen Verhältnissen nicht gerecht werde. Vielmehr orientierte sich die Bewegung entlang »offizieller Richtlinien«, fühlte sich durch die Regierung »aufgerufen«, China zu ändern. Kritische Kunst sei in den Zwischenräumen des Systems entstanden. Innerhalb der jeweiligen Institutionen - Unis, Kunstzeitschriften, der Künstlervereinigung - habe es Diskrepanzen und unterschiedliche Positionen gegeben. Diese seien von der 85er Bewegung genutzt worden. Westliche Denker wie Nietzsche und Freud, aber auch traditionelle chinesische Schriften übten großen Einfluss aus. »Große künstlerische Energien waren am Werk«, so Köppel-Yang. Dem verordneten »revolutionären Realismus« wurde ein »neuer Realismus« entgegengesetzt, der stark an den europäischen Realismus Mitte des 19. Jahrhunderts erinnert. Beispielhaft wurde Luo Zhonglis »Vater« präsentiert, ein Bild, das einen schmerzhaft realistisch gezeichneten Bauern zeigt. Er sieht alt und abgearbeitet aus, nicht jung und vital - eine versteckte Kritik an der üblichen Darstellung des Arbeiters.
Der Künstler und Kunstexperte Andreas Schmidt zeigte Bilder von Peking 1983, einer Zeit verstärkter Unterdrückung und allgemeiner Verunsicherung. Es gab aber auch geheime »Künstlerpartys«, die man nur über Umwege und mit Hilfe von Geheimwissen finden konnte. Das Foto einer Installation von Xiao Lu zeigt die Künstlerin selbst, mit der Pistole auf den »Dialog« schießend.
So offen konnte Kritik nur selten sein. Ein wichtiges Mittel der Kritik war die De- und Rekonstruktion von Traditionen und Sprache. In einer Kunstaktion wurden von Geng Jianyi Formulare der Regierung nachempfunden, absurd umgeschrieben, und an Bürger verschickt. In eine ähnliche Richtung zielt der Künstler Gu Wenda. Er schrieb riesige Schriftzeichen für »er« und »sie« falsch und strich sie durch, um die Hinfälligkeit der klassischen Geschlechterzuschreibungen auszudrücken.
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