In der Beziehungskiste

Andreas Kriegenburg inszenierte Händels »Orlando« an der Semperoper in Dresden

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Ulrike Hessler, die verstorbene Intendantin der Semperoper, verfolgte eine Absicht mit der bewussten Öffnung des Repertoires. Die sollte nicht nur von den Hausgöttern Richard Wagner und Richard Strauss in Richtung Gegenwart gehen (etwa bis zum Henze-Schwerpunkt), sondern auch in die andere Richtung der Zeitschiene, zu Monteverdi und zur mittlerweile sicheren Bank Georg Friedrich Händel.

Dass Barockopern heutzutage nur noch mit historischen Instrumenten gespielt werden müssen, ist eine dogmatische Ansicht, die vielfach widerlegt worden ist. Die Komische Oper Berlin etwa hat mit ihrer »Xerxes«-Show gerade einen konventionell geblasenen und gefidelten Knüller gelandet. Und in München schafft es Ivor Bolton allemal, das Orchester beinahe so klingen zu lassen, als wäre es historisch nachgerüstet.

Beim jüngsten »Orlando« in Dresden gelang das der Sächsischen Staatskapelle nicht. Vielleicht wollte es der britische Dirigent Jonathan Darlington auch gar nicht. Doch die Differenz, die seine auf puren Schönklang getrimmte Arien-Begleitung zu einem lossprudelnden, manchmal knarzenden, aber immer höchst sinnlichen Originalklang offenbarte, fiel diesmal besonders ins Gewicht, weil die Szene nicht dagegenhielt. Das Beste daran war das Bühnenbild von Harald Thor.

Wenn zu Händels Zeiten sein »Orlando« als eine von vielen Varianten des damals geläufigen Ariosto-Epos vom Rasenden Roland über die Bühne ging, kann man ihn heute kaum anders denn als Beziehungskammerspiel interpretieren. Der Held Orlando liebt Angelica, die aber ihrerseits Medoro liebt (und am Ende auch kriegt). Dorinda wiederum liebt diesen Medoro und geht bei dieser Beziehungsarithmetik leer aus. Zoroastro schließlich spielt als Magier ein bisschen Schicksal, damit irgendwann der Großmut des Helden siegen kann. Orlando schwankt nämlich nicht nur ständig zwischen gefühlskrank und wütend, sondern verfällt vorübergehend sogar mal dem Wahnsinn.

So ist also der großzügige, vollständig aus Holz gefertigte, mitten in einem sorgfältig gemalten Wald platzierte Salon eine Raum gewordene Beziehungskiste. Doch in dem eher elegischen Hin und Her fällt der Wahnsinn gar nicht so sehr auf.

Was sich dagegen optisch deutlich in den Vordergrund drängt, sind die Tänzer mit denen sich Kriegenburg und seine Choreographin Zenta Haerter den szenischen Tücken der Da-Capo-Arien entziehen wollen. Manchmal gelingt das auch mit den choreographierten Ausbrüchen, die zeigen, was an Gefühlen gemeint ist. Alsbald verselbstständigt sich aber die Tanztheater-Ebene und überlagert mit ihrem eigenen Ehrgeiz das recht verhaltene Spiel und den ordentlichen, aber nicht wirklich beglückende Gesang der Protagonisten.

Werden koloraturgespickte Partien mit bewährten Wagner-Sängern wie Christa Mayer (als Orlando) oder Georg Zeppenfeld (Zoroastro) besetzt, dann hat man einen Spitzenplatz in der Händel-Rezeption nicht mal im Visier. Auch bei Carolina Ullrichs Angelica und Barbara Senator Dorinda verhielt sich das nicht anders. Die junge Gala El Hadidi (Medoro) kann sich wohl noch entscheiden, in welche Richtung sie sich als Sängerin entwickeln will. Barock ist eine Option.

So wurde am Ende die neuerliche Händel-Annäherung in Dresden zu einer Geduldprobe. Zumindest für die Händel-Fans, die sich gelegentlich andernorts vom Charisma eines historischen Originalklang-Orchesters gefangen nehmen lassen.

Nächste Vorstellungen: 3., 5.2.

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