Kubas Parlament wird jünger
Zwei Drittel der Abgeordneten sind Neulinge und 70 Prozent nach der Revolution 1959 geboren
Mitten in einem umwälzenden Reformprozess wurden Kubas Bürger am 3. Februar um ihre Stimme gebeten. Sie wählten ihre Abgeordneten für die Provinzparlamente (1269) und die Nationalversammlung (612). Im Oktober waren Wahlen in den 168 Stadt- und Landkreisen vorausgegangen, aus denen 14 537 auf Nachbarschaftsversammlungen von den Bürgern vorgeschlagene Delegierte hervorgingen. Dort beginnt der Weg in die übergeordneten Instanzen, das heißt auch für 50 Prozent der Parlamentsabgeordneten. Die anderen 50 Prozent werden von acht Massenorganisationen nominiert.
Die Wahlen sind frei, direkt und geheim, Wahlrecht hat jeder Bürger ab dem 16. Lebensjahr. Die akkreditierte Auslandspresse kann während der Wahl und bei der Auszählung der Stimmen dabei sein. Dissidenten hatten 1998 und 2003 versucht, bei den Nachbarschaftsversammlungen in Havanna die nötigen Mehrheiten zu erhalten, das misslang. Seither begnügen sie sich damit, die Wahlen zu schmähen.
Diesmal haben von 8,8 Millionen eingeschriebenen Wählern 991 000 ihr Wahlrecht nicht wahrgenommen, 459 000 machten ihren Stimmzettel ungültig oder steckten ihn »weiß« in die Urnen. Im Vergleich zum Oktober waren das weniger Wähler, zugleich aber auch weniger ungültige und weiße Stimmzettel.
67 Prozent der Abgeordneten des Parlaments sind Debütanten, das Durchschnittsalter ist 48 Jahre. 70 Prozent der Mandatsträger wurden nach dem Sieg der Revolution 1959 geboren. Die Abgeordneten ihrerseits wählen unter anderem die 31 Mitglieder des Staatsrats, das heißt den Präsidenten, einen ersten Vizepräsidenten, fünf Vizepräsidenten, einen Sekretär und zwölf Mitglieder für die Ressorts.
Die kommende fünfjährige Legislaturperiode wird zweifellos die letzte für die »historischen« Führungskräfte sein, die Kämpfer aus den Zeiten der »Nationalen Rebellion«. Keiner ist jünger als 75. Außerdem hat Raúl Castro im April 2011 auf dem 6. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas angeregt, die Mitgliedschaft im Parlament auf zwei Legislaturperioden, also zehn Jahre, zu begrenzen. Er hat von Anfang an klar gemacht, dass die Kaderfrage, der Wechsel, für ihn eine Priorität ist. Vor Jahren noch war er überzeugt, dass es genug hervorragende Männer und Frauen gibt, die in die Fußstapfen der Revolutionäre treten könnten. 2011 klang das etwas anders: »Mehrfach haben wir junge Kader mit wichtigen Aufgaben betraut, aber das Leben hat uns gezeigt, dass wir nicht immer eine glückliche Hand hatten.«
In der neuen Nationalversammlung wird Ricardo Alarcón, Parlamentspräsident seit 1993, nicht mehr dabei sein. Alarcón, Doktor der Philosophie, ist 75 Jahre alt, war aktiver Revolutionär und eine Schlüsselfigur der kubanischen Außenpolitik. Bei Verhandlungen mit Washington stand er immer an der Spitze und seit Jahren koordiniert er den Kampf für die Befreiung der in den USA inhaftierten fünf kubanischen Agenten »Miami Five«. Auch der Präsident des Presseverbandes, Tubal Páez, war nicht wieder als Kandidat aufgestellt worden.
Zu den Aufsteigern in der Hierarchie gehört der 54-jährige Außenminister Bruno Rodriguéz, promovierter Jurist und ehemaliger Universitätsprofessor, der jüngst ins Politbüro aufrückte. Ebenso wie Miguel Díaz-Canel (52), der aus dem Parteiapparat kommt.Wo er bisher eingesetzt wurde, wendeten sich die Dinge zum Besseren. Heute ist er Mitglied des Politbüros und Vizepräsident des Ministerrates. Beide begleiteten Raúl Castro zum Gipfel der Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten in Santiago de Chile, wo Kubas Staatsoberhaupt die zeitweilige Präsidentschaft der Gemeinschaft übertragen wurde. Schließlich hat sich auch Marino Murillo (51), ein gestandener Ökonom und auf diesem Gebiet die rechte Hand Raúl Castros, nach vorn geschoben. Er ist Mitglied des Staatsrats. Kuba bewegt sich - personell und politisch, wie zuletzt die Reiseerleichterungen zeigten.
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