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Im Rausch
Regisseur Boris Khlebnikov
nd: Sie haben gesagt, dass Sie Ihr Drama »A long and happy Life« über die forcierte Landnahme im heutigen Russland als eine Art »High Noon - 12 Uhr mittags« verstehen. Finden Sie, dass das heutige Russland Ähnlichkeiten zum amerikanischen Wilden Westen hat?
Khlebnikov: Ja und nein. Denn der Westen war wild und Russland ist es auch - dahingehend sind sie sich ähnlich. Aber andererseits unterscheiden sich die beiden Epochen, denn die Leute im damaligen Westen waren sehr der Erde zugewandt. Western finden oft in der Natur statt und handeln von Viehzucht und Landwirtschaft. Wir befinden uns in Russland aber eher in dem Äquivalent einer anderen amerikanischen Epoche: der Erforschung Alaskas und des Goldrausches. Zu der Zeit interessierten sich die Menschen nicht für die Produktion, sondern für die Bodenschätze.
In Ihrem Film wehren sich Bauern gegen den Verkauf des von ihnen bewirtschafteten Landes, knicken dann aber ein. Sind die Gegner - Politiker und Geschäftsleute - zu stark oder finden Sie, dass Russen nicht rebellisch genug sind?
Ich glaube schon, dass Russen rebellisch sind. Zum Aufstand sind aber nur Menschen mit einem Bewusstsein fähig. Und in diesem Sinne denkt Sascha, der Held und bäuerliche Unternehmer, sehr viel bewusster als seine dörflichen Arbeiter und kann deshalb die bewusste Entscheidung zur Rebellion treffen. Die Fähigkeit der Landarbeiter, sich ihrer selbst bewusst zu sein und dessen, wozu sie fähig sind, ist schon lange verkümmert. Sie waren davor lange arbeitslos und haben einen Zustand der Apathie erreicht. Sie können keine aktiven Entscheidungen treffen.
Wofür steht der wilde Fluss im Film? Deutet er symbolisch auf das Unheil hin, das später erfolgen wird?
Im Film gibt es den Fluss und das Dorf. Die Einstellungen des Flusses am Anfang, in der Mitte und am Ende sind beim Schnitt entstanden und haben den Konflikt im Film verschoben. Ursprünglich ging es vor allem darum, wie der Held sich mit den lokalen Behörden, den Geschäftsleuten und der Macht anlegt. Aber durch die Einstellungen des Flusses verlagerte sich das Drama in Richtung Dorf und wie die Dörfler Sascha schließlich verraten. Einerseits haben wir diesen lauten Fluss, der jedoch gleichmütig und unverändert vor sich hin fließt und andererseits das Dorf, dessen Bewohner Saschas Existenz zerstören.
Interview: Kira Taszman
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