Das muss ANDERS werden!
Berliner Schauspielschüler: Brecht & Büchner
Machtlos ist die Literatur keineswegs, ohnmächtig schon. Ihre Macht schuf Verlage und Theater, Leser und Zuschauer. Sie besetzt also Häuser und treibt Maschinen an, hat Wähler und Wächter und Weltruf. Ohnmächtig aber blieb die Kunst immer, wie heftig sie auch klagte, ketzerte, gegen das Elend der Welt geistigen Krieg führte.
Ideen sind bedrohlich? Ja, aber auf deren Formung kommt es an: Vor militanten Computerspielen muss man unbedingt warnen - vorm schriftlichen Anarchismus eines Georg Büchner freilich nicht, genauso wenig vorm eingreifenden Materialismus eines Bertolt Brecht. Emanzipiertes Denken pflanzt sich nur immer in die Einsamkeit fort, in die Unübertragbarkeit auf Praxis.
Büchner und Brecht, das bildet doch Verbindungen, die eine denkfreudige Gesellschaft in Stimmung bringen könnten, in eine Stimmung, bei der nicht mehr zu unterscheiden wäre zwischen Gefährdung und Erfrischung. Bis es aufblitzt: Just die Gefährdung ist - die Erfrischung!
Blödsinn, solche Erwartung. Brecht, Büchner: Abteilung Genussmittel. Nur der ewig kleine Kreis der Eingeweihten fühlt sich gewichtig. Je gewichtiger er sich fühlt und verhält, desto klarer tritt sie hervor: die besagte Ohnmacht des kühn Gedachten.
Vor Monaten sprach Christoph Hein auf Schloss Neuhardenberg über Kleists »Michael Kohlhaas« und verwies auf die mögliche Nebenwirkung einer fortwährenden Hymne auf diese Novelle: Sie ist nichts weniger als das Porträt eines Terroristen, und wer den »Kohlhaas« zum Schulkanon erhebt, könnte so Wurzeln legen, die hierzulande RAF assoziieren. Gründlicher kann man Literatur nicht einschätzen - und überschätzen. Die Macht des Wortes, die darin besteht, es zu verbreiten, gehört untrennbar zur Ohnmacht dieses Wortes, zu wirken.
Selten zu sehen: ein Theaterabend, der sich dieses Verzweiflungsgrundes bewusst ist, obwohl es sich um einen Theaterabend sehr junger Leute handelt. Die Berliner Brecht-Tage 2013 im Literaturforum im Brecht-Haus (Motto: »Brecht, Büchner und das Theater der Revolution in Zeiten der Krise«) wurden mit einem Gastspiel im Studio des Maxim Gorki Theaters eröffnet - Regie- und Schauspielstudenten der Hochschule »Ernst Busch« zeigten »Der Berliner Landbote. Deine Krise ist kein Privatbesitz«. Ein Abend über Büchners Zorn und Brechts Anleitungen zur Klassenhärte, ein Abend auch mit kaltglühendem Blick in die Verlorenheit selbst noch der revolutionärsten Seele.
Ausgangsidee ist ein Zuschauergespräch nach besagter Aufführung. Dramaturgin, Schauspielerin, dann der wegen Erkältung (und wohl auch innerer Erkaltung) ausgestiegene Regisseur, der übernehmende Regiehospitant - sie alle debattieren vor dickem Regiebuch über Peymann, Pollesch, Castorf, rotzen und kotzen ihre Leid am zeitgenössischen Theater weg, es ist ein Leiden an der allgemeinen Spiegelglasmentalität, an finanziell verfetteter Selbstgenügsamkeit, am schönen Leben im Schein, da doch Büchner (es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht!) so dringend auf der Tagesordnung stünde wie Brecht (das muss alles ganz anders werden!). Geraune, Gequatsche, Gewimmer, Gewohnheitsgalle. Zudem wurde der Aufführung noch kurz vor der Premiere die Erlaubnis für sämtliche Becht-Texte entzogen.
Aus gespielter Rede wird unversehens beredtes Spiel. Büchners Briefe, Danton - und auch Brecht. Der freilich in zungenloser Stammel- und Stummelsprache, so dass Zitate aus der »Maßnahme« (der Kämpfer willigt, wenn es der Sache dient, in den eigenen Tod ein) zur witzigen Präsentation eines gnadenlos unverständlichen Parteichinesisch geraten. Ab und zu platzt ein Wort überdeutlich hervor und schreckt: Freiheit etwa. Das »Lied von der Marie A.« verwandelt die weiße Wolke weit oben in eine Taube, das »Lob des Kommunismus« adaptiert sich ins Lob des Kapitalismus: »Er ist unvernünftig, keiner begreift ihn«.
In erstaunlicher Schnelle hatte sich kunstbetriebliches Gelabere, bei dem Selbstzweifel natürlich trotzdem Selbstaufrufung blieb, in ein drängendes, dröhnendes, drastisches Spiel verwandelt. Starke junge Spieler, wühlende Musik, gestische Kraft; die Geschichte trägt Occupy-Masken und stellt eine Stalinbüste auf. Zusprechende Sätze, die hart gegen die Verhältnisse donnern, halten sich die Waage mit absprechenden Sätzen, die aus der weichen, wehrlosen Natur des Menschen kommen.
Die vibrierende Aufführung der zehn »Busch«-Eleven endet mit einem fiktiven, erbosten Einwurf einer »Zuschauerin« - in selbstironischer Relativierung des eben gespielten Aufruhrs wird somit alles wieder auf den Ausgangspunkt zurückgeworfen: Theater ist Theater ist Theater. Puppenspiel-Studenten der Hochschule zeigen zum Schluss (in Kooperation mit der Universität der Künste Berlin) »Danton Song/ Dans Ton Sang« erste Szenen einer Aufführung, die Büchners Werk in Assoziationsfelder holt, in denen der moderne Mensch überfordert in eine Privatheit und Beziehungslosigkeit stolpert, die nur eines immer weiter steigert: Erschöpfung.
Die Aufstands-Fülle und der Leere-Schrecken - bei Büchner wie bei Brecht nicht voneinander zu trennen. Freilich, was sie besonders zu Heutigen macht: Jenes Leid der anderen, das zu Dichtung wurde, ist ihnen noch aufdringlicher als das eigene Leid. Der heilige menschliche Geist in uns ist das, was uns allen gemeinsam ist - Herrschaft jeder Art aber arbeitet unablässig, erfolgreich daran, die Unterschiede zwischen den Menschen herauszuwirtschaften. Bis Klein- und Großkriege möglich sind. So weit sind wir gekommen. Vorangekommen, heruntergekommen. Stehen nun da im Gewäsch, das nichts ändert, auch wenn man's dick mit falschem Initiativwillen überschreibt: Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt regiert! Das muss alles ganz anders werden! So?
Das ist in diesen Breiten nichts weiter als die Pille danach. Ist Offenbarungseid: Da ist Tünche nötig, wie es in Brechts »Ui« heißt: Tünche gegen den Leere-Schrecken. Den nichts mehr zu besiegen scheint. Deshalb reden wir so inständig über Büchner, Brecht. Machtvoll, ohnmächtig, vor allem folgenlos. Noch weiß keiner zu sagen, ob nicht darin (noch) das wahre Glück liegt.
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