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Das Geräusch von Kastagnetten
»Shoa«-Regisseur Claude Lanzmann will sich zu aktueller Politik nicht äußern
Der französische Regisseur Claude Lanzmann, dem im Rahmen der Berlinale der goldene Ehrenbär übereicht wurde, mochte nur ganz vereinzelt Interviews geben. Er wolle lieber feiern, soll der 87-Jährige gesagt haben. Aber immerhin war er am Donnerstag bereit, im überfüllten Veranstaltungssaal der Deutschen Kinemathek vor hunderten Gästen - viele davon sehr jung und mit ihren Laptops auf dem Boden hockend - ein Gespräch mit dem Film-Historiker und -Kritiker Ulrich Gregor zu führen.
Gregor war es, der Lanzmanns neuneinhalb Stunden dauernden Dokumentarfilm »Shoah« (1985) schon 1986 mehrmals beim »Internationalen Forum des jungen Films« der Berlinale gezeigt hatte. »Ich war etwas irritiert«, wunderte sich Lanzmann nun darüber, dass damals Zuschauer den Saal verließen. »Es dauerte etwas, bis ich verstand, dass sie über meinen Film so geschockt waren, dass sie einfach mal kurz nach draußen mussten. Nach zwei, drei tiefen Zigarettenzügen kamen sie dann aber auch wieder zurück.«
Die Diskussion lief damals bis weit nach Mitternacht und »als ich ins Hotel Kempinski zurückkam, quoll mein Nachrichtenfach von Unmengen von Post über. Lauter handgeschriebene Briefe, die die Leute spontan abgegeben hatten, weil sie durch «Shoah» so sehr bewegt worden waren. Nur die Jüdische Gemeinde ließ nichts von sich hören.« Auf die Frage, wie es sei, den Film nach 27 Jahren wieder zu sehen, antwortete Lanzmann: »Na, heute bin ich ein Star. Ein Weltstar. Aber ›Shoah‹ hat keine Falten bekommen. Vor dem Film steht ja auch geschrieben: ›L‘action commence de nos jours‹ - die Handlung beginnt in unserer Zeit. In 50 Jahren kann man das sicher immer noch so sagen.«
»Shoah«, der Film, an dem Lanzmann zwölf Jahre lang gearbeitet hatte, führte mit viel Mut und großer Sorgfalt die epochalen Verbrechen der Nazis vor Augen. Lanzmann benutzte dazu kein sogenanntes Footage-Material, das das Grauen der industriellen Vernichtung der Juden hätte dokumentieren können. Er verzichtete auf diese wenigen existenten (Original-)Bilder des Grauens, die in anderen Filmen immer wieder unbedacht eingesetzt werden. Lanzmann verlässt sich nur auf die Aussagen von Tätern, Augenzeugen und Überlebenden in Deutschland, Polen und den USA.
Die US-amerikanische Fernsehserie »Holocaust«, die 1979 im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, subsumierte den Völkermord an den europäischen Juden erstmals unter diesem neuen Begriff und hatte Anteil daran, bei vielen Deutschen ein erstes Bewusstsein für die Dimension der Verbrechen zu schaffen. Bei Lanzmanns »Shoah« werden jene Untaten erheblich ungefilterter geschildert: Weil nicht Schauspieler (in Farbe) etwas nachspielen, sondern wirklich betroffene Menschen vor der Kamera aussagen. Gedreht in Schwarzweiß. Seit 1985 ist der Begriff »Shoah« ebenso gebräuchlich wie »Holocaust«, um etwas zu beschreiben, das sich kaum in Worte fassen lässt.
Im Gespräch mit Lanzmann wollte Gastgeber Ulrich Gregor den Teilnehmern entgegenkommen und bat den Franzosen, alles auf Englisch zu erklären. Das gab der Veranstaltung leider eine mühsame, fast peinliche Zähflüssigkeit. Denn über das so schwierige Thema der Judenvernichtung, das für Claude Lanzmann mit so viel Emotionen und Widersprüchen behaftet ist, lässt sich eigentlich nur in der Muttersprache befriedigend Auskunft geben. Und so wich Lanzmann einige Male mehr oder weniger bewusst ins Anekdotische aus. Auf die Frage, wie er damals die Vorführung in Berlin empfunden habe, sagte er, er habe die Knie der Zuschauer vor Angst klappern hören. Das habe sich in seinen Ohren angehört wie das Geräusch von Kastagnetten.
Auf die Frage, welche Empfindungen es bei Lanzmann auslöse, »wenn in Krakau für Touristen Tagesausflüge nach Auschwitz für fünf Euro veranstaltet werden«, antwortete er: »Davon habe ich noch nicht gehört, aber wollen Sie denn, dass man mehr dafür bezahlen sollte als fünf Euro?« Die Frage eines äthiopischen Gasts nach der Eingliederung seiner Landsleute in Israel blieb unbeantwortet.
Wenn Lanzmann ungern auf Fragen eingehen will, die sich mit der heutigen Politik befassen, so ist das natürlich sein gutes Recht, zumal er sich auf seine schon vor über 40 Jahren getroffenen filmischen Aussagen berufen kann - etwa aus der französisch-israelischen Koproduktion »Pourquoi Israel« (Warum Israel, von 1973). Schade ist es dennoch.
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