»Diese Kirche ist am Ende«
Der Religionswissenschaftler Hubertus Mynarek über den Rücktritt von Papst Benedikt XVI. und die Hoffnung auf Reformen
nd: Professor Mynarek, heute Abend wird Joseph Ratzinger im Vatikan einen Hubschrauber besteigen und zur Residenz Castelgandolfo bei Rom fliegen. Was lässt der kranke - nun ehemalige - Papst zurück?
Mynarek: Eine kranke Kirche. Eine Kirche, die der Lösung ihrer inneren und äußeren Probleme in den vergangenen acht Jahren nicht nur keinen Millimeter nähergekommen ist, sondern deren Krise durch das unheilvolle Wirken eines verbohrten Ideologen zudem auf das Äußerste verschärft wurde. Eine Kirche, die geistig und geistlich eigentlich schon tot ist.
Sie sind Autor einer Biografie über Benedikt XVI., in den 60er Jahren haben Sie Joseph Ratzinger als Theologieprofessor persönlich kennengelernt. Sehen Sie für den überraschenden Rücktritt noch andere als die angeführten gesundheitlichen Gründe?
Ratzinger wird tatsächlich zunehmend schwächer und die Regierungsgeschäfte belasteten ihn schwer. Eine Show, wie sie der Wojtyła-Papst mit seinem Leiden und Sterben der Öffentlichkeit geboten hat, wollte er auf keinen Fall. Man kann sogar davon ausgehen, dass er als rational-skeptischer Typ das vom mystisch-spirituellen Johannes Paul II. durchlebte finale Medienspektakel mit großer innerer Distanz verfolgt hat. Also tritt er jetzt als erster Papst nach mehr als 700 Jahren von seinem »Stellvertreter«-Amt zurück. Damit setzt er nach den Jahren der Kritik, Pannen und Skandale einen völlig neuen Akzent, der bei allem Überraschenden durchaus zu Ratzingers Ehrgeiz und Eitelkeit passt.
In der italienischen Presse ist von einem geheimen Netzwerk homosexueller Priester im Vatikan die Rede, das bei den Ermittlungen zur sogenannten Vatileaks-Affäre um die Weitergabe von Privatdokumenten des Papstes an die Presse aufgedeckt wurde. Spekulationen bezeichnen das als den eigentlichen Rücktrittsgrund.
Das halte ich für unwahrscheinlich. Jemand, der wie Ratzinger Jahrzehnte in der Kurie tätig war, dürfte von solchen Berichten wohl kaum überrascht sein. Kurz vor der Jahrtausendwende erschien das Buch »Wir klagen an«, das unter dem Pseudonym »I Millenari« von 20 römischen Prälaten verfasst worden ist und die Zustände im Vatikan schildert. Neben Korruption, Intrigen und Scheinheiligkeit innerhalb der Kurie werden darin auch die Wege zur Befriedigung irdischer Lüste beschrieben.
Gab es Ihrer Meinung nach Druck aus der Kurie?
Jetzt vielleicht noch nicht. Aber früher oder später hätte man Ratzinger wohl nahegelegt, dass es so nicht weitergeht und die beste Lösung ein Rücktritt wäre. Hätte er solche leisen, unaufdringlichen Appelle überhört, gibt es ja, wie die Geschichte des Papsttums zeigt, noch andere, hundertprozentig wirksame Methoden.
Wir leben doch aber nicht mehr in Zeiten der Borgia-Päpste.
So weit muss man gar nicht zurückgehen. 1978 segnete Johannes Paul I. nach nur 33 Tagen Pontifikat das Zeitliche. Die anschließenden Fragen und Widersprüche wurden nie geklärt. Eine Papstleiche wird ohnehin nicht obduziert. Tatsache ist, dass er vor seinem Tod einschneidende Veränderungen in der Kurie plante und vor allem die Machenschaften der Vatikanbank genau prüfen wollte.
Es gibt Mutmaßungen, dass sich auch Benedikt XVI. mit Eingriffen in Führung und Struktur der Vatikanbank Gegner geschaffen hat, die Druck auf ihn ausübten.
Abwegig ist das nicht. Wobei der deutsche Papst gerade mal die Fassade dieses skandalträchtigen Finanzinstituts angekratzt hat. Eine Geldwaschanlage lässt sich nicht einfach so abschalten. Schon der von Ratzinger eingesetzte Bankpräsident Ettore Gotti Tedeschi war offenbar bestimmten Leuten zu neugierig und wurde wieder aus dem Amt gemobbt.
Auch wenn die Vatikanbank weitgehend unbeschadet bleibt - das System Vatikan ist, folgt man Kommentaren zu Ratzingers Rücktritt, in Frage gestellt. Selbst der Vergleich mit dem Fall der Berliner Mauer wird bemüht.
Die Mauern des Vatikans sind älter - und stabiler. Vor allem in den Köpfen der Kurie. Die Strukturen bleiben, die Dogmatik bleibt. Da ändert sich gar nichts. In puncto Verbot der Frauenordination geht nichts, weil Wojtyła das mit Hilfe von Ratzinger in den Rang eines Dogmas gehievt hat. Daran wird sich jeder neue Papst halten. Der Zölibat ist zwar kein Dogma, aber selbst der als »guter Papst« verherrlichte Johannes XXIII. hat klar gemacht, von diesem »Kleinod« werde sich die Kirche niemals trennen. Unfehlbarkeit und universaler Jurisdiktionsprimat, also der Anspruch der höchsten Rechtsgewalt des Papstes über die Christenheit - und zwar die gesamte -, sind ebenfalls Dogmen. Sie begründen und stabilisieren den absoluten Machtanspruch Roms über alle Teilkirchen.
Ein zentrales Element der Debatte um Benedikt XVI. ist das Zweite Vatikanische Konzil 1962-65. Es entsteht sogar der Eindruck, wenn die Umsetzung der Konzilstexte endlich gelänge, wäre sie da, die neue katholische Kirche, zu der Katholiken wie Nichtkatholiken, Gläubige wie Nichtgläubige von ganzem Herzen Ja sagen können.
Dieser Eindruck wird vor allem durch die veröffentlichte Meinung erzeugt. Es gibt ja nicht nur die Political Correctness, sondern auch die Ecclesiastical Correctness mit Blick auf das Kirchliche. Und dazu gehört, das Positive der Kirchen nicht nur zu erwähnen, sondern ausdrücklich zu betonen und möglichst medial zu vergrößern. Das Zweite Vatikanum war zweifellos ein wichtiges und einschneidendes Ereignis. Doch man muss sich die Erklärungen und Beschlüsse auch genau und kritisch anschauen. Da wird zum Beispiel den nichtchristlichen Religionen bescheinigt, dass die katholische Kirche nichts ablehnt, »was in diesen anderen Religionen wahr und heilig ist«. Allerdings: Mehr als ein »Strahl jener Wahrheit, die alle Menschen erleuchtet«, wird diesen Religionen nicht zugestanden. An der dogmatischen Arroganz, dass der Weg zum Heil nur durch die katholische Kirche führt, rüttelt das Konzil nicht im Geringsten.
Weder Aufbruch noch Öffnung?
Sicher war das Vatikanum ein Aufbruch, denn so feudalistisch eingeengt, wie die Kirche unter Papst Pius XII. war, konnte es nur besser werden. Sie hatte mittelalterliche Strukturen, sie sperrte sich gegen alle Anforderungen und Aussichten der modernen Welt, sie war eine Festung des Dünkels und der Dogmatik. Johannes XXIII. vollzog sozusagen eine atmosphärische Reinigung, die geistige Prozesse in Bewegung setzte. Ihm gelang das nicht zuletzt dank seines sympathisch-charismatischen Naturells, das sich befreiend abhob vom aristokratisch-unterkühlten Habitus eines Pius XII. Der Roncalli-Papst entkrampfte die Kirche vor allem psychologisch. Es gab Signale, so in Richtung Judentum. Doch die Reformen wurden schnell in hierarchisch-verengte Bahnen geleitet, wo inhaltliche und strukturelle Veränderungen auf der Strecke blieben. Dogmatisch, moraltheologisch, in der Sexuallehre oder auch innerhalb der Strukturen hat das Konzil nichts geändert.
Immerhin wird der Name Johannes XXIII., dessen Pontifikat mit weniger als fünf Jahren noch kürzer als das Benedikts war, seinen guten Klang behalten. Was aber bleibt vom ersten deutschen Papst seit fast 500 Jahren?
Man wird vor allem weiter versuchen, ihn zum brillantesten Theologen des 20. und 21. Jahrhunderts zu stilisieren, der seine Kirche mit der Versöhnung von Glaube und Vernunft in eine neue Ära theologischer Einheit und Reinheit führen wollte. Folgt man Erzbischof Robert Zollitsch, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, hat Ratzinger besonders in der Gottesfrage neue Wege geebnet. Ob und wie Gott existiert, welche philosophischen und ethischen Folgerungen sich daraus ergeben, wie Heiliges und Profanes miteinander kommunizieren - das alles sind ja die Kernprobleme, die einen Theologen beschäftigen sollten. Ratzinger wich einer wirklichen Debatte darüber aus und kaprizierte sich vor allem auf die Wiederherstellung der kulturellen Hegemonie der Romkirche in Europa und in der Welt. Der italienische Philosoph Paolo Flores d’Arcais, der im Jahr 2000 ein Streitgespräch mit dem damaligen Glaubenspräfekten Kardinal Ratzinger führte, kam zu dem vernichtenden Urteil, dass die Kirche selbst kein Interesse am Wahrheitsgehalt ihrer Lehren mehr hat.
Die Gottesfrage aus römischer Sicht ist vermutlich für Nichtkatholiken oder Nichtgläubige von eher untergeordneter Bedeutung.
Sicher. Aber der Umgang damit zeigt doch, dass diese Kirche am Ende ist. Nicht einmal ihre Kernkompetenz vermag sie noch zu bedienen. Stattdessen wird an jahrhundertealten Dogmen festgehalten, bei denen selbst hartgesottene Katholiken ihren ganzen Glaubenswillen zusammenkratzen müssen, um Rom noch zu folgen.
Nach Ratzingers Rücktrittsankündigung wurde ja umgehend die Hoffnung auf Veränderungen laut. Von katholischen Reformgruppen über humanistische Vereine bis hin zur Linkspartei ist von der Möglichkeit eines »fortschrittlichen« Papstes die Rede, als hoffe man auf die Wiederkehr des Messias.
Woher soll denn in einer durch und durch reaktionären Institution etwas »Fortschrittliches« kommen? Alle Ansätze dafür, wie etwa die in Lateinamerika wirkende Theologie der Befreiung, wurden konsequent und nachhaltig zerschlagen, vor allem von Ratzinger. In dieser Kirche geht es nur noch um die Verwaltung von Konkursmasse. Immerhin einer sehr beträchtlichen.
Wer wird der nächste Konkursverwalter?
Von den 116 wahlberechtigten Kardinälen sind 60 Europäer, davon 28 Italiener, die die gewieftesten Manager der Macht in der Kurie sind. Ich denke, es wird ein Italiener, so wie in den Jahrhunderten vor dem Wojtyła-Papst. Aber wer es auch wird, die Strukturen in der Kurie sind derart beschaffen, dass echte Reformen in jedem Fall verhindert werden. Ein Papst, der wirklich etwas bewegen will, müsste den Vatikan verlassen und ihn von außen umformen. Er müsste ein Häretiker werden, ein Ketzer. Das gibt’s nur in Romanen.
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