Der Feuerwerker

Beppe Grillo hat das italienische Parteiensystem gesprengt

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 5 Min.
Mit der »Bewegung der Fünf Sterne« hat Beppe Grillo bei den Parlamentswahlen in Italien aus dem Stand über 25 Prozent der Stimmen erhalten. Seine Abgeordneten könnten in der nächsten Regierung vertreten sein.

Die Wahlen vom letzten Wochenende haben Italien und Europa ein vollkommen neues Szenario beschert - und damit noch einmal den Ruf der Italiener als fantasievolle, exzentrische Wesen bestätigt. So könnte man es sehen. Man könnte auch sagen, dass die Italiener offensichtlich besonders friedliebend sind, weil sie ihre (berechtigte) Wut über eine katastrophale Wirtschaftslage und verkrustete politische Strukturen nicht mit Straßenschlachten ausdrücken, sondern einen Stimmzettel zu ihrer Waffe machen. Wie man es nicht sehen kann, obwohl es in vielen deutschen Leitartikeln so beschrieben wurde: dass die Italiener ein unreifes Volk darstellen, das nicht weiß, was es will und lieber auf Sirenen hört, als sich ernsthaften Politikern anzuvertrauen.

Egal ob man Beppe Grillo als Clown im negativen Sinne oder als artistischen Hofnarr bezeichnet, der den Mächtigen den Zerrspiegel vorhält - seine Wähler sind Menschen, die an die Demokratie und die Macht des Volkes glauben. Sonst wären sie nicht zur Wahl gegangen, sondern hätten ihrem Unmut anders Luft gemacht.

Hätten sie kein Vertrauen mehr in die Politik und ihre Fähigkeit, grundlegende Probleme in Angriff zu nehmen und vielleicht auch zu lösen, hätten sie individuell resigniert oder blind zerstört. Tatsächlich aber haben sie monatelang im Internet diskutiert, Programme ausgearbeitet und sich überlegt, welches Italien sie wollen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass gerade ein »Clown« ihr Sprachrohr ist, dass dieser Mann gerne verbal über die Stränge schlägt und Dinge sagt und auf seinem Internetblog schreibt, die bloßer Effekthascherei dienen.

Grillos Wähler glauben an die Demokratie

Ihn und seine Bewegung lächerlich zu machen, sie als puren Ausdruck einer Entpolitisierung oder Null-Bock-Mentalität zu interpretieren, ist kurzsichtig und überheblich. Noch bis vor wenigen Monaten konnte man Italien als ein politisch zweigeteiltes Land bezeichnen, in dem sich Linke und Rechte fast gleichstark gegenüber standen. Das führte dazu, dass bei Wahlen schon eine geringe Verschiebung in der Wählergunst immer neue Regierungen - wenn auch keine fundamental andere Politik - hervorbrachte. Diese Zeiten sind offensichtlich vorbei. Im italienischen Parlament stehen sich nicht mehr zwei, sondern jetzt drei etwa gleichstarke Blöcke gegenüber.

In Europa (aber auch vielfach in Italien) ist man darüber entsetzt, dass es Silvio Berlusconi noch einmal gelungen ist, so viele Menschen auf seine Seite zu bringen. Tatsächlich aber hat er gegenüber den letzten Wahlen fast 6,5 Millionen Stimmen verloren. Trotzdem gibt es noch viele Menschen in diesem Land, die nur an den eigenen Vorteil denken. Berlusconi verspricht weniger Abgaben, Steueramnestie und vier Millionen neue Arbeitsplätze. Er setzt auf Gefühle und hat für jedes Problem eine einfache Lösung. Seine Medienmacht unterstützt ihn dabei. Die Mainstream-Presse, die kurze Sätze und klare Statements liebt, tut ihr Übriges. Hinzu kommt, dass es keine seriöse rechte Alternative gibt: Der noch amtierende Ministerpräsident Mario Monti hatte sein Prestige bei den Wählern spätestens in dem Moment verspielt, als er seine Rolle als »Techniker«, als »neutraler Experte« aufgab. Er bildete eine eigene Partei, positionierte sich kirchennah und beschimpfte wild die Parteien, die seine Regierung im Parlament gestützt hatten.

Viele Italiener hatten im Dezember 2011 eingesehen, dass das Land am Rande des finanziellen Abgrunds stand und deshalb Opfer akzeptiert, selbst wenn sie nach neoliberaler Denkart allein den Schwächeren abverlangt wurden. Sie fügten sich in eine Schocktherapie, auch wenn sie brutal war. Auch, weil Monti ihnen gesagt hatte, danach werde es bergauf gehen. Als sich dies nicht bewahrheitete, lavierte Monti - nun in seiner Position als Parteipolitiker - zwischen Parolen von »Sparmaßnahmen« und »Aufschwung«. Wenn man sich als Italiener also eine wertkonservative Regierung wünscht, ist die Stimme für Berlusconi in gewisser Weise die eindeutigere Entscheidung, auch wenn er einem als Mensch vielleicht nicht besonders gefällt.

Die relative Mehrheit der Italiener vertritt aber eine andere Position. Sie möchte eine traditionelle Mitte-Links-Regierung mit einer starken sozialdemokratischen Gewichtung, repräsentiert durch Pier Luigi Bersani und seine Demokraten (PD). Diese schlagen einen »gemäßigten« Weg aus der Krise vor und wollen es sich mit keinem so recht verderben.

Auch die Demokraten gehören zum Establishment

Die Lösungen, die die PD bisher angeboten hat, scheinen irgendwie vernünftig, sind aber oft nicht eindeutig: So will man eine Vermögenssteuer einführen, aber wehtun soll sie niemandem. Die fast 50 Prozent der jungen Menschen, die keine oder nur eine äußerst prekäre Beschäftigung haben, die bei den Eltern wohnen müssen, weil sie sich die Miete, geschweige denn ein Kind nicht leisten können, finden das freilich nicht besonders attraktiv. Hinzu kommt, dass die Demokraten im vergangenen Jahr die Sparpolitik von Mario Monti unterstützt haben. In den Augen vieler Italiener gehören auch sie zu dem Establishment, das Italien überhaupt erst in die Krise geführt hat.

Selbst jemand wie der linke Anti-Mafia-Staatsanwalt Antonio Ingroia, der es mit seiner Formation »Zivile Revolution« nicht ins Parlament geschafft hat, stellt keine echte Alternative dar. Sein Programm bezog sich in erster Linie auf die Bekämpfung von Mafia und Korruption. In seinem Wahlbündnis waren zahlreiche »Alt-Linke« vertreten, deren Positionen und Sprache besonders für Jüngere unverständlich sind. Es war wohl auch naiv zu glauben, dass man in nur drei Monaten eine politische Alternative auf die Beine stellen kann, wenn man sich in den Jahren zuvor nie um seine potenzielle Wählerschaft gekümmert hat.

Es bleibt die Frage: Was nun? Der »Clown« Beppe Grillo, der diese Bezeichnung sicher nicht wegen intellektueller Defizite verdient hat, sondern eher wegen eines Talents zur Selbstdarstellung, hat sein Ziel auf jeden Fall erreicht. Er wollte das verkrustete System mit einem lauten Knall aufbrechen. Die Explosion war in der ganzen Welt zu hören. Es ist ihm gelungen, das bipolare politische Gefüge zu dekonstruieren. Man weiß im Augenblick allerdings noch nicht, ob ihm und seinen Wählern dieses Feuerwerk ausreicht oder ob sie dazu beitragen wollen, das Feuer jetzt kontrolliert wieder zu löschen.

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