Mit Kind an die Spitze?
Frauen sind benachteiligt, besonders Mütter – wie wär's mit einer Mütterquote?
Von der grünen Außenpolitikerin Kerstin Müller erzählt man sich, sie würde Interessenvertreter bei einem Lobbygespräch auch schon mal etwas brüsk mit dem Hinweis unterbrechen, sie sollten sich kürzer fassen - es sei 20 Uhr, sie Alleinerziehend und müsse endlich nach Hause zu ihrer Tochter. Politikerinnen mit Nachwuchs haben in den vergangenen Jahren öfter mal für Schlagzeilen gesorgt. LINKEN-Chefin Katja Kipping erprobt das »Modell Teilzeitvorsitzende«, SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles beeilte sich, nach der Geburt ihres Kindes in ihren Job zurückzukehren, aus Sorge vor Begehrlichkeiten auf ihren Posten und bekam dafür böse Briefe - vor allem von Männern. Es kommt auch vor, dass Abgeordnete ihr Baby in Sitzungen mitbringen. Es sitzt dann mal auf diesem, mal auf jenem Schoß. Frauen in politischen Spitzenpositionen - das ist bereits relativ selten. Noch seltener ist allerdings die Kombination: Mütter und Spitzenposition.
Die Bremer Soziologin Hilke Brockmann hat das für den Bundestag genauer untersucht. Ihr Befund: Quoten haben dazu geführt, dass dort inzwischen mehr Frauen als früher vertreten sind. Jedoch vor allem kinderlose. Kinder funktionieren eben nicht nach Tagesordnung.
Bis auf die FDP haben alle im Bundestag vertretenen Parteien in den vergangenen Jahrzehnten die eine oder andere Form von Quotierung beschlossen. Als erstes die Grünen im Jahr 1979. Als letztes die CSU 2010. Der Erfolg dieser Quote ist unübersehbar: In den 50er und 60er Jahren waren Männer im Bundestag weitgehend unter sich - gerade zehn Prozent der Abgeordneten waren weiblich. Heute sind es 32 Prozent. Die Parität verhindern vor allem Union und FDP. Bei Grünen und LINKEN sind die Fraktionen annähernd ausgewogen besetzt.
Mütter hingegen bleiben im Bundestag verglichen mit dem Bevölkerungsdurchschnitt deutlich unterrepräsentiert. Anders als Väter. Für sie scheinen sich Kinder und Politkarriere nicht auszuschließen. Sie haben ja eine Frau.
Am wenigsten Nachwuchs mit durchschnittlich einem Kind haben Politikerinnen der LINKEN, so die Studie. Aber auch in der Union machen vor allem die Frauen Karriere, die keine Kinder haben. Ministerin Ursula von der Leyen mit ihren sieben Kindern ist die einsame Ausnahme.
Die Gründe dafür sind nicht schwer zu finden: Kinderbetreuung ist immer noch weitgehend Frauenarbeit und ein Mandat im Bundestag kostet viel Zeit. Lange, unvorhersehbare Arbeitszeiten sind die Regel, Plenarsitzungen dauern bis spät in die Nacht, vor allem aber ist die Arbeit von Abgeordneten mit den offiziellen Sitzungen nicht getan, ein Großteil findet abends bei informellen Treffen statt. Dort werden politische Weichenstellungen, Initiativen und wichtige Posten ausgehandelt. Wer hier nicht dabei sein kann, weil der Sohn auch noch etwas Aufmerksamkeit bekommen soll, hat das Nachsehen. Das behindert Frauen schon sehr früh im Wettstreit um Mandate und Ämter.
Die Studie beschreibt den politischen Betrieb, die Situation dürfte aber in Wirtschaft und Wissenschaft kaum anders sein. Frauen mit Kindern haben weniger Zeit, sich beruflich zu qualifizieren, mithin zu profilieren. Anders herum gilt: Viele Frauen, die Karriere machen wollen, verzichten auf Nachwuchs. 2008 lag der Anteil der Kinderlosen bei den 45- bis 49-jährigen Akademikerinnen bei 26,5 Prozent. Und wenn es um die schlechtere Bezahlung von Frauen geht, müsste man oft genauer von Müttern reden, die weniger verdienen als Männer. Zwischen 16 und 18 Prozent Gehalt büßen Frauen in Deutschland mit jedem Kind ein, haben Wissenschaftler errechnet.
Soziologin Brockmann will die Frauenquote deshalb ergänzen um das Kriterium Mutterschaft. Der Gedanke: Frauen mit Kindern beachten die Bedürfnisse von Eltern in ihren politischen Entscheidungen stärker. Außerdem müssten die Arbeitszeiten in der Politik und anderswo dem Tagesablauf der Kleinsten stärker angepasst werden. Das würde die Vereinbarkeit der beiden Ks - Kinder und Karriere - schneller voranbringen. »Natürlich können sich auch Männer oder kinderlose Frauen dafür einsetzen, aber sie haben das nicht genauso präsent«, glaubt Brockmann. Das ist auch wenig verwunderlich: Ihr Alltag wird von diesen Problemen schlicht weniger oder gar nicht bestimmt. Sie haben somit kein Eigeninteresse, sondern müssten sich allein aus selbstlosen Motiven für die Förderung der Mütter einsetzen. Auch bei anderen Themen gilt, dass nicht-repräsentierte Gruppen im Parlament wie Arme und Migranten auch politisch kaum Einfluss haben.
Brockmann will ihren Ansatz auch als Plädoyer gegen den »Fetisch der lückenlosen Biografie« verstanden wissen. Wenn man - egal ob Mann oder Frau - wegen Kinderbetreuung eine Zeit lang aus dem Beruf aussteigt oder kürzer tritt, dann dürfe das kein Nachteil für die gesamte Zukunft sein. Die Wissenschaftlerin und Mutter kritisiert, dass sich bislang Eignung und Qualifizierung einer Person danach bemessen, ob sie dem Arbeitsmarkt von morgens bis abends zur Verfügung steht.
In Internetforen wie etwa vom Verband berufstätiger Mütter oder von Frauen-Karrierenetzwerken wird der Vorschlag kontrovers diskutiert. Die positiven Reaktionen überwiegen. Manche befürchten jedoch, die Mütterquote könnte »die Einheit der Frauen« in ihrem Streben nach Gleichberechtigung gefährden. Allerdings: Welche Einheit besteht zwischen der konservativen Familienministerin Kristina Schröder und der LINKEN-Politikerin Sahra Wagenknecht?
Die größte Schwierigkeit bei der Mütterquote dürfte sein, zu definieren, wer überhaupt gemeint ist: Mütter, deren Kinder schon aus dem Haus sind? Haben es Frauen mit Partner so nötig wie Alleinerziehende? Frauen mit einem Kind genauso wie mit Dreien? Und sind nicht viele Kinderlose in Zukunft Mütter? Brockmann sieht all diese Schwierigkeiten, hält sie aber für lösbar. Vor allem meint sie: Warum probieren es Unternehmen und Parteien nicht einfach einmal aus?
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