CDU verliert nächste Großstadt
Erneut verdrängt ein Sozialdemokrat einen CDU-Oberbürgermeister - diesmal in Wiesbaden
Der Ausgang der Oberbürgermeisterwahl in Wiesbaden sorgt über die Stadt hinaus für Aufsehen. Bei der Wahl am Sonntag konnte erneut ein weitgehend unbekannter SPD-Nachwuchspolitiker den amtierenden CDU-Oberbürgermeister Helmut Müller verdrängen. Mit 50,8 Prozent der Stimmen wird künftig der 38-jährige Sven Gerich das Rathaus führen. Vor zwei Wochen hatte er in Umfragen noch zehn Prozent hinter Müller gelegen.
Nach Duisburg, Frankfurt am Main, Stuttgart und Karlsruhe bildet die hessische Landeshauptstadt ein weiteres Glied in der Kette von Niederlagen der CDU bei bundesdeutschen OB-Direktwahlen. Mit Gerichs Sieg hat die CDU den letzten Chefsessel in einer hessischen Großstadt verloren. Von den 22 bundesdeutschen Städten, die größer als das 280 000 Einwohner zählende Wiesbaden sind, haben derzeit neben den beiden Landeshauptstädten Düsseldorf und Dresden nur noch Münster und Wuppertal Oberbürgermeister mit CDU-Parteibuch.
Kopfzerbrechen dürfte den Christdemokraten ein Blick auf die Wähler- und Anhängerschaft von Gerich und Müller bereiten. So stehen hinter Müller, dem Wunschkandidaten der Eliten und Wirtschaft, vor allem die über 60-Jährigen sowie die Anwohner in gehobenen Wohnlagen und eher ländlich geprägten Vororten. Gerich hingegen hat den stärksten Rückhalt in Innenstadt, Industrievororten und sozialen Brennpunkten, bei den Erwerbstätigen zwischen 25 und 59 Jahren sowie bei Jungwählern. Er konnte über die traditionelle SPD-Wählerschaft hinaus Stimmen ziehen. Die Wiesbadener Grünen und Teile der LINKEN hatten sich in der Stichwahl für ihn ausgesprochen. Ihre Hochburgen wurden nun zu »Gerich-Hochburgen«.
Auch wenn das Ergebnis schon allein wegen der geringen Wahlbeteiligung von 34,1 Prozent nicht automatisch auf Landtags- und Bundestagswahlen übertragbar ist, können SPD und Grüne aus der Wiesbadener Dynamik Honig saugen. Sie ist Rückenwind für ihr Ziel, im Herbst die schwarz-gelbe Landesregierung abzulösen. Hessens SPD-Landes- und Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel sonnte sich am Sonntagabend vor Kameras und Mikrofonen im Erfolg Gerichs. »Eine Partei, die in der Landeshauptstadt siegen kann, kann es auch im Land«, erklärte der Bewerber für das Ministerpräsidentenamt.
Betretene Gesichter hingegen bei der Union. »Das ist bitter«, sagte Hessens Regierungschef Volker Bouffier, der zusammen mit Bundesfamilienministerin Kristina Schröder dem unterlegenen Müller Trost spendete. CDU-Insider ließen am Wahlabend Selbstkritik anklingen und beklagen eine stümperhafte Kampagne. Offenbar waren nicht wenige in der Partei der auch in Lokalmedien genährten Illusion erlegen, dass der amtierende OB aufgrund von »Amtsbonus« und »Kompetenz« und einer »hohen Zufriedenheit« im Wahlvolk mit einer sicheren Wiederwahl rechnen könne. Seite 4
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