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Überraschung
Sven Gerich wird neuer Oberbürgermeister in Wiesbaden
Dass Sven Gerich als junger »Nobody« am Sonntag den Chefsessel im Rathaus der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden erobern konnte, kam nicht nur für das politische Establishment überraschend, sondern auch für den Wahlsieger. Ursprünglich als Verlegenheitskandidat vom SPD-Unterbezirksvorstand der Basis vorgesetzt, machte sich Gerich im zurückliegenden OB-Wahlkampf als Herausforderer des vermeintlich »unschlagbaren« CDU-Amtsinhabers Helmut Müller einen Namen. Am Sonntag gelang Gerich die Sensation.
»Die Leute wollten eben etwas anderes«, brachte ein sichtlich geknickter Müller seine empfindliche Niederlage auf den Punkt. Anders als Müller ist Gerich schon von seiner Biografie her: Der 60-jährige Wahlverlierer und Doktor der Ökonomie verbrachte sein gesamtes Berufsleben im Politbetrieb: als persönlicher Referent, Dezernent und Oberbürgermeister. Gerich dagegen wuchs in einem kirchlichen Kinderheim auf, absolvierte den Realschulabschluss und eine Tischlerlehre. Im kleinen Wiesbadener Familienbetrieb der Adoptiveltern eignete er sich die Kenntnisse eines Offsetdruckers an. Er bekennt sich offensiv zu seiner Homosexualität und seiner eingetragenen Lebenspartnerschaft.
SPD-Mitglied ist Gerich erst seit zehn Jahren, er gilt als rechter, wirtschaftsfreundlicher Sozialdemokrat. Seit zwei Jahren amtiert er als SPD-Fraktionschef und ist maßgeblicher Strippenzieher einer großen Rathauskoalition mit Müllers CDU. Auch wenn er im Wahlkampf deren Politik, etwa die höchst umstrittene Teilprivatisierung eines kommunalen Krankenhauses, loyal verteidigte, machte sich der Herausforderer in den letzten Wochen gekonnt eine im Wahlvolk spürbare Wechselstimmung zunutze. Mit Sätzen wie »Die Stadt ist kein Konzern, die Stadt ist ein Gemeinwesen« und Bekenntnissen zu einer »sozialeren Stadt« sprach er vielen privatisierungskritischen Bürgern und Bediensteten der Stadtverwaltung aus der Seele. Nach seinem Amtsantritt am 2. Juli wird Gerich rasch unter Beweis stellen müssen, wie ernst solche Wahlaussagen gemeint sind.
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