Orbán schleift Gewaltenteilung

Breites Bündnis gegen radikal autoritäre Verfassungsänderung in Ungarn

  • Silviu Mihai, Budapest
  • Lesedauer: 2 Min.
Während Ungarns Präsident János Áder am Montag in Berlin zum Staatsbesuch eintraf, beschloss das Parlament in Budapest am Abend eine weitgehende Änderung der ungarischen Verfassung, die heftigen Protest auslöst.

»Es ist jetzt genug, wir werden das nicht mehr hinnehmen. Wir werden jeden Tag auf die Straßen gehen, bis jemand Viktor Orbán stoppt«, verspricht Ádám Paulovics. Der 21-jährige Student geht in jüngster Zeit tatsächlich fast täglich demonstrieren. Gegen die Verfassungsänderung, die am Montag im Parlament zur Abstimmung stand, hat sich ein selten breiter gesellschaftlicher Widerstand formiert - Studenten, Obdachlose, Gewerkschafter, Schwule und Lesben, Lehrer, Menschenrechtsaktivisten, Medienschaffende, Rentner und Budapester Hipster demonstrieren gemeinsam.

Ungeachtet der Proteste stimmten am Montag Abend 265 Abgeordnete der Mitte-Rechts-Koalition für die Verfassungsänderungen, was für die nötige Zweidrittelmehrheit reichte. 11 Abgeordnete stimmten dagegen, 33 weitere enthielten sich der Stimme. Die Vertreter der oppositionellen Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) boykottierten das Votum.

Der neue Gesetzestext stellt bereits die vierte Änderung der Verfassung dar, die erst Anfang 2012 in Kraft trat. Und er macht fast alle Kompromisse, die Orbán auf Druck der EU oder des Verfassungsgerichts eingehen musste, mit einem Schlag rückgängig.

Die Kriminalisierung der Obdachlosigkeit, die Einschränkung der Wahlwerbung und die Verwaltungswillkür in Sachen Religionsfreiheit, die das Verfassungsgericht für grundgesetzwidrig erklärt hatte, werden wieder möglich - indem die Parlamentsmehrheit sie einfach in die Verfassung schreibt. Der Text schränkt die Autonomie der Universitäten ein und droht Studenten, die nach dem Abschluss im Ausland arbeiten wollen, hohe rückwirkende Studiengebühren an. Selbst das Verfassungsgericht bekommt Orbáns Rache für das Mäkeln an seinen Gesetzen zu spüren: Die Richter müssen ihre einschlägigen Beschlüsse revidieren und dürfen mit Zweidrittelmehrheit beschlossene Verfassungsänderungen künftig nicht einmal mehr prüfen.

Angesichts dieser Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit radikalisiert sich der Protest der demokratischen Opposition. Die Zentrale der Orbán-Partei Fidesz in Budapest wurde am vergangenen Donnerstag mehrere Stunden lang von Protestlern besetzt. Am Sonnabend versammelten sich rund 6000 Demonstranten zur Kundgebung in der Alkotmány utca (Verfassungsstraße) und zogen durch die Stadt zum Sitz des Verfassungsgerichts.

Ihre einzige realistische Chance sieht Ungarns Zivilgesellschaft allerdings in einem Machtwort aus Brüssel. Die EU könnte auf die faktische Abschaffung der Gewaltenteilung mit außerordentlichen Maßnahmen reagieren. »Wir hoffen auf Europas Hilfe. Bis dahin bleibt uns nur der permanente Protest«, sagt Ádám Paulovics.

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