Der Frieden applaudiert

Das Abenteuer einer Shakespeare-Aufführung in Afghanistan

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Frieden ist ein gehärtetes Wesen. Der weiß, was läuft; der winkt also ab, müde, misstrauisch, er winkt ab mit der abgekühlten Weisheit eines Mittellosen. Der Frieden ist ein Abgerissener, er lässt sich nicht mehr so leicht herauslocken aus den Verhältnissen, was immer man ihm auch schickt: Waffen, Soldaten, Botschafter.

Ja, in Afghanistans Bergen hockt der Frieden und lässt vorüberziehen, was ihm auf die Beine helfen soll. Beladene Befohlene, in Uniform. Vor allem: Fremde. Wer war hier nicht alles schon!, Frieden auf den Lippen, aber nur immer auf der Lauer liegend, die zum Krieg gehört. Im Schlepptau der Armeen: die Strategen des politischen Ideenexports. Der Frieden winkt erneut ab, denn er kommt nicht als schöne Kopfgeburt zur Welt, wenn's den Menschen gleichzeitig nur immer an den Kragen geht. Wasser, was zum Essen, ja! - aber keine Ideen! Ideen wollen den Frieden nur, um in Ruhe neuen Unfrieden stiften zu können. Demokratie nennen's alle, die Demokraten wie die Feinde der Demokratie; die Russen haben's so genannt, der Westen nennt's auch so.

Der Frieden hockt in Höhlen und fragt sich, wer ihm heraushilft. Es ist ernst, so ernst, dass an die heiterste, unsinnigste, machtloseste, verrückteste, weltfremdeste Lösung gedacht werden muss: mitten im Krieg - ans Spiel.

Ans Theaterspiel. Also doch Ideenexport? Kunst exportiert nicht, sie kehrt immer nur heim. Ist heimat- und zeitlos, weil ihr alle Zeiten und Räume gehören, wo Menschen nicht umhin können, die Fantasie als Wirklichkeit zu begreifen. »Shakespeare in Kabul« ist das leidenschaftliche, so lebendig wie lustvoll erzählte Protokoll eines grandiosen Abenteuers: Eine Gruppe afghanischer Schauspieler und Schauspielerinnen führt 2005 in Kabul Shakespeares »Verlorene Liebesmüh« auf, Regie führt die Französin Corinne Jaber, bewandert im genialen Wandertheater Peter Brooks. Frauen und Männer mitein-ander auf einer Bühne? Seit dreißig Jahren erstmals. Zeichen für den Neubeginn jenseits der Taliban-Diktatur.

Der US-Journalist und Entwicklungshelfer Stephen Landrigan schrieb gemeinsam mit Qais Akbar Omar, Autor und Übersetzer aus Kabul, diesen freudelodernden Bericht. Er erinnert in gewisser Weise an einen Text des Schriftstellers Christoph Ransmayr - er beschwört mit Emphase die »dritte Luft«. Die erste Luft, die der Mensch benötige, enthalte »alle Gerüche und Geräusche des Anfangs, der engsten und geheimsten Umgebung, den Geruch der Wolljacke und der Haut der Mutter, den Klang ihrer Stimme, wenn sie aus dem offenen Fenster den Namen des Vaters in den Wind rief«. Die zweite Luft trage die »Gerüche und Geräusche der gesamten Lebenslandschaft«. Aber erst in der dritten Luft füge sich das Bild der Welt zum Ganzen, erst in der Luft der »Geschichten und der Verzauberung des Lebens« verwandeln sich sogar Berg und Stein in ein einziges Wort, in Bilder, und rauschen daraus wieder hervor.

So marschiert hier nun also die Kunst auf, marschiert nicht auf, sondern tanzt, tastet, tobt kräftig. Das Buch offenbart die unendliche Mühe, um entzweite, verschüchterte, traditionsbetonierte, glaubensfeste Menschen an ein Projekt zu binden, das sie befreien möge. Die Geschichte des afghanischen Theaters leuchtet auf, im 20. Jahrhundert eine Verbotsgeschichte und ein Wechselbad der Bewusstseinslagen unter den jeweiligen Herrschaften, auch der Russen. Eines der Theater in Kabul stand unweit des Stadions, in dem die Taliban Ehebrecher(innen) und Homosexuelle steinigen ließen, »ein Volkstheater besonderer Art«; ein von den Sowjets erbautes Theater wurde zerbombt, in den Ruinen blühte die Drogensucht - Kunst und Leben in makabrer Liaison; Rausch zu Rausch.

Das Buch erzählt die Schicksale der Spieler, die Angst, die Mühe mit der Disziplin, die hereindrängenden Stammesfehden, die Bedrohungen durch Terroristen, erzählt den Frauenhass, die Solidarität, die Trennungen, das Zusammenraufen. Erzählt den schönen großen Erfolg. Am Schluss heißt es, Shakespeare habe ein »afghanisches Stück« geschrieben. Shakespeare schreibt noch immer uns alle.

Der Frieden winkt ab, er hat zu viel sehen müssen. Der Frieden winkt den Spielern zu, so etwas hat er noch nicht gesehen. Das Gegenteil einer verlorenen Liebesmüh.

Stephen Landrigan und Qais Akbar Omar: Shakespeare in Kabul. Ein Aufbruch in drei Akten. A. d. Engl. v. Inge Uffelmann. Unionsverlag. 250 S., geb., 19,95 €.

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