Mythos Dresden

Erinnerungskultur und Geschichtsrevisionismus

  • Horst Schneider
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein Zufall, dass ich diese radikale Abrechnung mit der Gedenkpolitik in Dresden am 13. Februar 2013 auf den Schreibtisch bekam. Aber es ist kein Zufall, dass viele kritische Aussagen sich als höchst aktuell erweisen. Das Buch umfasst 22 Texte von Autoren und Rechercheteams, die sich mit der Dresdner Gedenkkultur beschäftigen. Sie konstatieren gravierende Veränderungen seit der »Wende«, ja einen schleichenden Geschichtsrevisionismus.

In den letzten Jahren stand der Protest gegen die Neonazis im Zentrum des Gedenkens in Dresden. Die Losung der Demonstranten lautete: »Täterspuren suchen statt Opfermythen pflegen.« In diesem Buch widmet sich der Kulturwissenschaftler Mathias Berek den »Funktionen des kollektiven Gedächtnisses«; dessen Missbrauch bestimmt er auch als ein »Werkzeug der Erinnerungskultur«. Der Berliner Historiker Henning Fischer untersucht den »Mythos Dresden«, der vom verordneten Geschichtsbild geschaffen wurde und den Mainstream bestimmt. Lobenswert ist, dass der Dresdner Student Philipp Klein hier den Text für die Nachwelt bewahrt, den die DDR an der Ruine der Frauenkirche hatte anbringen lassen: »Ihre Ruine erinnert an Zehntausende Tote und mahnt die Lebenden zum Kampf gegen imperialistische Barbarei, für Frieden und Glück der Menschheit.« Es folgt eine Kritik der inhaltsleeren Phrasen an der wieder aufgebauten Frauenkirche. Swen Steinberg, Historiker an der TU Dresden, befasst sich mit dem Dresdner Heidefriedhof, der »nicht Gedenkort, sondern Lernort« sein soll. Für ihn ist es bemerkenswert, dass diese letzte Ruhestätte »inhaltlich nahezu bruchlos aus der DDR weiter geführt beziehungsweise weiter tradiert wurde«.

Ein Antifa-Rechercheteam versucht die Frage zu beantworten: »Warum hat Dresden eine so große Anziehungskraft für die Naziszene, dass sich zu diesem Anlass einer ihrer größten europäischen Aufmärsche entwickelt?« Die Chronologie der jährlichen Auseinandersetzungen in Dresden am 13. Februar zeigt die Unfähigkeit oder auch den Unwillen der staatlichen Organe über lange Zeit, sich ernsthaft der braunen Pest entgegenzustemmen. Justiz und Polizei wurden massiv eingesetzt, um den Neonazis den Weg frei zu halten. 350 Ermittlungsverfahren hat es in den letzten Jahren gegen Teilnehmer an antifaschistischen Protesten gegeben. Politiker und Pfarrer wurden mit Gerichtsverfahren überzogen, darunter der Linkspolitiker Andre Hahn, den man gar der »Rädelsführerschaft« bezichtigte. Das Verfahren gegen den Jenaer Pfarrer Lothar König steht noch an. Beide waren dennoch auch in diesem Jahr unbeirrt unter den Protestierenden.

Es ist hier nicht der Platz, auf alle interessanten, streitbaren Aufsätze einzugehen. Aus dem Rahmen fällt der sich dem Zeitgeist beugende Beitrag von Sophie Abbes von der Gruppe »venceremos« über die »ideologische Ausrichtung« des 13. Februar-Gedenkens in der SBZ und der DDR. Den letzten Beitrag lieferte die Leipziger Antifa. Sie fordert noch einmal explizit, dass das Dresden-Gedenken zum Ziel der Kritik werden muss und die uneingeschränkte Solidarität aller Demokraten den kriminalisierten Antifaschisten gehört.

Autorenkollektiv »Dissonanz«: Gedenken abschaffen. Kritik am Diskurs zur Bombardierung Dresdens 1945. Verbrecher Verlag. 343 S., br., 15 €.

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