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Von Zeitläufte, Menschen und Utopien

Zwei große Schriftsteller auf der Leipziger Buchmesse: Péter Esterházy und Amos Oz

Nein, er wollte nicht von der Esterházy-Torte kosten, die die ARD extra für ihn nach einem Rezept aus dem Jahr 1910 backen ließ. Es sei noch zu früh für Kaffee und Kuchen, lehnte der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy höflich die Aufforderung des Moderators ab, es sich schmecken zu lassen. Nachmittags um drei Uhr. Die Torte sah lecker aus. Doch Esterházy blieb standhaft. Und zeigte sich schließlich etwas genervt vom Insistieren seines Gegenübers, wenigsten ein Stückchen zu probieren und sodann zu beantworten, ob die Torte den Geschmack einer Epoche entspräche. Als Letzterer endlich begriff und verkündete: »Kommen wir nun also auf Ihr neues Buch zu sprechen«, atmete Esterházy auf: »Ach, tatsächlich doch noch?!«

Der Spross aus einer weit verzweigten Adelsfamilie, die 1948 in der Volksrepublik Ungarn enteignet worden ist - was er nicht als Alb und Unrecht empfindet, sondern als Befreiung von einer Last -, hat in seinem Epos »Harmonia Caelestis« (dt. 2001) anhand der Lebensspuren seiner berühmten Vorfahren ein beeindruckendes Panorama ungarischer wie europäischer Geschichte gezeichnet. In seinem neuen Roman »Esti« (Hanser. 368 S., geb., 24,90 €) unternimmt er eine autobiografische Annäherung. Denn: »Kornél Esti - c’est moi.« Esterházy bedient sich hier des charmanten Helden von Dezsö Kosztolányi (1885-1936), um Zeitläufte und Menschenschicksale zu ergründen, das Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit im Denken und Handeln, die im heutigen Ungarn wieder gefährdet sind. Durch die Torten-»Schlacht« zu Beginn blieb dem Romancier im ARD-Forum nicht mehr viel Zeit, auf die besorgniserregenden Entwicklungen in seiner Heimat, so die neuerliche Verfassungsänderung, einzugehen. Dass ihn dies unbefriedigt ließ, war ihm anzumerken.

Ein weiterer großer Schriftsteller auf der Buchmesse hat ein paar Hunderte Flugkilometer mehr als Esterházy hinter sich bringen müssen, um in Leipzig zu landen. Aus Israel flog Amos Oz ein. Seine neuen Erzählungen »Unter Freunden« (Suhrkamp, 216 S., geb., 18,95 €) spielen im fiktiven Kibbuz Ikat. »Der Kibbuz war eine große Utopie, ein ehrgeiziges soziales Projekt, die radikalste Revolution im 20. Jahrhundert, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen«, urteilt Oz. »Die Kibbuzim wollten nicht nur die Gesellschaft verändern, sondern das menschliche Wesen von Grund auf.« Das egalitäre Leben in der Gemeinschaft würde Selbstsucht und Neid verdrängen und damit auch die Geißel Krieg, hoffte man. »Das war naiv«, meint Kibbuznik Amos Oz, »denn kein Regime kann die menschliche Natur verordnen. Wenn jemand mich fragen würde, was sich in der Liebe seit Salomon geändert hat, dann würde ich sagen: nur die Zigarette danach.«

Das heißt nicht, dass der Novellist ein Pessimist ist. Er war der Moderatorin dankbar, sich zu aktuellen Ereignissen äußern zu dürfen. Zuversichtlich stimmte ihn die halbe Million Menschen, die im letzten Jahr in Tel Aviv für Solidarität und Gerechtigkeit demonstrierte; skeptisch ist er indes, ob die neue Regierung deren Erwartungen erfüllen wird. Zum Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hat der Mitbegründer der Initiative »Peace Now« eine klare Position: »Wir alle wollen unsere Heimat nicht verlieren. Das Haus muss in zwei kleinere Wohnungen geteilt werden, in denen wir friedlich nebeneinander leben.«

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