Mit Stock und gut
»Eine ganz normale Familie« im Theater am Kurfürstendamm
Neil Simon bringe ihn als Autor zum Lachen wie zum Weinen, sagt Regisseur Andreas Schmidt. Der erfolgreiche Schauspieler und Regisseur, der an den Kudamm-Theatern schon fünf Stücke inszenierte, beweist so oder so große Begabung für Tragikomik wie sympathische Lebensnähe. Mit seiner gelungenen Inszenierung »Eine ganz normale Familie« balanciert er nun geschickt auf dem schmalen Grat zwischen Tragik und Komik.
In dem 1991 am Broadway uraufgeführten Stück, für das Simon den Pulitzer Preis bekam, geht es um eine jüdische Familie 1942 in der amerikanischen Kleinstadt Yonkers. Dort führt Großmutter Kurnitz einen Süßwarenladen - und ein drakonisches Regime. Die Familie hat zu tun, was sie befiehlt.
Wegweiser ist der Stock der Alten. Peggy Lukac führt ihn großartig in knappen Bewegungen. Wenn man weiß, mit welchem Temperament diese Schauspielerin ausgestattet ist, lässt sich ermessen, wie gut sie die ansonsten hier nötige körperliche Zurückhaltung beherrscht. Gegen Ende vermag sie sogar zu zeigen, wie diese Frau kleiner wird, an Kraft verliert, es aber in ihrem Stolz nicht erkennbar werden lassen will. Ihren Mann verlor die aus Deutschland emigrierte Frau. Zwei ihrer sechs Kinder starben. Dann legte sie ihr Herz auf Eis. Einen weiteren Verlust verwindet sie nicht. Sie hat sich versiegelt. Ihre Kinder wuchsen ohne Zärtlichkeit auf und fürchten sie. Allesamt nahmen sie dadurch Schaden. Deshalb verhält sich alles etwas anders in dieser »ganz normalen Familie« als in anderen.
Frankensteins Großmutter sei das, meinen die Enkel Arty (Sandro Lohmann) und Jay (Lucas Reiber), die ein Jahr bei ihr leben sollen, weil ihre Mutter starb und der durch die Krankenhausrechnungen an einen Kredithai geratene Vater (Urs Fabian Winiger) als Handelsvertreter in den Südstaaten Geld heranschaffen muss. Durch eingesprochene Briefe bleibt er präsent.
Das Stück ist so aufgebaut, dass man von den zwei ahnungslosen Jungs, die anfangs beim vermeintlich kurzen Besuch der Großmutter in deren Wohnzimmer auf dem Sofa hocken, über alle Mitglieder der Familie etwas erfährt. Schön schlaksig und verspielt geben sich die zwei. Vaters Schwester Bella empfinden sie als durchgeknallt. Tatsächlich ist die mit ihren 36 Jahren hilfebedürftig geblieben und wird, wenn alle gehen, der Großmutter als einziges Kind erhalten bleiben. Chiara Schoras wirbelt in dieser Rolle herum. Als liebenswerte, doch keineswegs lebenstüchtige junge Frau versucht sie vergeblich, ihrem Schicksal zu entfliehen.
Von Onkel Loui, als der Mirko Lang den kleinkriminellen Macho mimt, wissen die Jungs nicht, was er beruflich macht. Loui ist derjenige, der sich als Einziger seiner Mutter als ebenbürtig erweist. Wenn auch widerwillig lernte er von ihr, wie man überlebt. Und die dicke Tante Gert (Marie Schöneburg) finden die Jungs ulkig, weil sie immer im ersten Teil eines Satzes ausatmet und für den zweiten keine Luft mehr hat. Dass und warum sie nur im Elternhaus daran leidet, können sie nicht ermessen.
So sind alle Schicksale letztlich tragisch. Gerade das gebiert den Humor in dieser meschuggen Familie. Schmidt hat das gut erkannt und vermag es zu beweisen. Er verleiht den Dialogen so viel Kraft, dass er gut und gern auf flache Komik verzichten kann. So schafft er es, der immerfort ihre Weisheiten verkündenden, gefürchteten Großmutter mitunter ein winziges Lächeln zu erlauben, wenn sie die selben seltsamen Späße mit ihren Enkeln treibt, die schon ihre Kinder zur Weißglut gebracht hatten.
Was auch immer geschieht - letztlich bringt man ihr wie allen anderen Mitgliedern dieser »ganz normalen Familie« viel Sympathie entgegen in diesem witzigen Stück, das vom Leben erzählt. Und davon, wie man es irgendwie doch immer wieder schafft.
Wieder ab 19.3., 20 Uhr, sonntags 16 Uhr, Theater am Kurfürstendamm 206, Charlottenburg, Tel.: 88 59 11 88, www.komoedie-berlin.de
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