Und ewig lächeln die Rheintöchter

Achim Freyer schließt im Nationaltheater Mannheim seinen Nibelungen-Ring mit einer poetischen Götterdämmerung

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Den Brecht-Schüler merkt man Achim Freyer nicht mehr so ohne weiteres an. Das Outfit und der weiße Wuschelkopf dieses auf die Achtzig zugehenden Jungspundes haben zwar mittlerweile auch so einen Wiedererkennungswert wie weiland die bb-Zigarre. Aber verfremdete Belehrung hinter der imaginären Brechtgardine ist bei dem auf vielen Feldern immer noch ziemlich kreativen Allroundkünstler längst im skurrilen Eigensinn eines Zeichen- und Bilderuniversums eigenen Rechts aufgegangen. Er braucht für seine Bühnenkreationen nicht mal den gesamten menschlichen Körper. Weil Freyer die Welt vor allem als Maler sieht, dampft er den Körper auf Puppenformat oder auf gezeichnete Abbilder ein. Sogar ohne Gesichter. Manchmal auch ohne Unterleib oder vollständige Beine. Wenn Achim Freyer aber seinen imaginären Malerpinsel in der Oper schwingt, dann kann er natürlich nicht auf die Stimmen verzichten. Da müssen die Masken schon so bemessen sein, dass auch die Töne noch zu ihrem Recht kommen.

Beim Musiktheater freilich und ganz besonders bei Wagners Nibelungen-Ring, den er jetzt als überarbeitete Neuauflage seiner Inszenierung aus Los Angeles mit der »Götterdämmerung« geschlossen hat, lässt er dafür in einem geradezu jugendlichen Überschwang vor allem seiner Malerfantasie freien Lauf. Da werden die Götter auf ihre Insignien reduziert oder mit ihnen verziert. Da kommt Siegfried auch schon mal als Clown oder Hagen mit zu kurzen Beinen daher, das Erbe Alberichs sozusagen mit sich tragend.

Die drei Rheintöchter dagegen haben es zu einem Nebenjob als Showgirls gebracht. Fragmentarisch nackt - die ausgestellten Merkmale der Weiblichkeit auf drei verteilt, sind sie es, die ewig lächelnd am Beginn jedes Götterdämmerungs-Aktes den Vorhang hochgehen lassen. Oft für eindrucksvolle Bilder. Wie dem schwarzen Spiegelkabinett der Gibichungen. Dieser in die imaginäre Weite verlängerte Raum ist mit ein paar Insignien der Götter bestückt und wird zum Ballsaal für eine makaber ihrem Ende zu tanzende Gesellschaft. Oder für eine der Tiefe der Erinnerung in schwindelerregende Höhe emporwachsende Brünnhilde kurz vor Siegfrieds Tod. Manchmal hebt sich der Vorhang aber auch für banalen Eigensinn. Wenn billige Reklamebilder über die Gazewände flimmern und nicht mehr bedeuten als ihre eigene Banalität.

Da hat es der Alberich mit Hitlerbärtchen schon eher in sich. Und erinnert daran, das auch Freyer weiß, dass es im Ring um die wirkliche Welt geht und ihre Gefährdung. Und nicht nur um den großen waltenden Gesamtzusammenhang der Welt und ihrer Bewohner aller Arten. Immerhin ist Freyer mit fröhlicher Unbekümmertheit das Risiko eingegangen den weidlich politisierten Nibelungen Ring von Richard Wagner zuerst aus dem Geiste der Poesie zum Leben zu erwecken. Oder im doppelten Wortsinn zu erledigen. Ein höchst subjektives Statement für die Autonomie des Künstlers einen anderen Künstler zu interpretieren ist ihm gelungen. Ob jeder auch die eingeschlossene subversive Infragestellung der Welt zu erkennen vermag, bleibt dahin gestellt. Ein paar Buhrufer wollten sich in Mannheim nicht mal auf die Herausforderung einlassen. Musikalisch ist die Götterdämmerung ein großer Erfolg für das Mannheimer Orchester und seinen Chef, die im Rheingold eher eine Orchesterdämmerung befürchten, als auf eine grandiose Götterdämmerung hoffen ließen! Jürgen Müller hatte durch Indisposition nicht seine volles Siegfried Format und Eva Johansson kämpfte zu sehr mit dem Wagnerdeutsch und der Intonation, um als Brünnhilde zu überzeugen. Auch sie wurde gleichwohl mit dem übrigen Ensemble gefeiert.

Nächste Vorstellung: 1. April

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