Auferstanden aus Ruinen...
Die Entstehung der Nationalhymne der DDR
Fast vier Wochen vor der Staatsgründung der DDR ging am 13. September 1949 vom SED-Politbüro der Auftrag an den Kommunisten Anton Ackermann, sich mit dem Lyriker Johannes Robert Becher und dem Komponisten Hanns Eisler in Verbindung zu setzen und ihnen die Bitte zur »Schaffung einer Nationalhymne« zu übermitteln. Die SED-Führung, wie alle anderen deutschen Parteiführungen wussten um die Bedeutung repräsentativer Staatssymbole – Fahne, Emblem, Hauptstadt und eben Hymne. Ackermann wird in Berlin mit Becher gesprochen haben, mit Eisler vermutlich nicht. Dieser hielt sich in Wien auf.
Vier Tage nach der DDR-Gründung schrieb am 11. Oktober 1949 der neue Staatspräsident Wilhelm Pieck an den bereits informierten Becher: »… Mir ist in dieser Nacht … folgender Gedanke über eine Hymne der Republik gekommen: Die Hymne sollte drei Verse mit je einem Refrain enthalten. Der 1. Vers sollte die Demokratie in Verbindung mit der Kultur haben. Der 2. Vers die Arbeit in Verbindung mit dem Wohlstand des Volkes. Der 3. Vers die Freundschaft mit den Völkern in Verbindung mit dem Frieden. Der Refrain sollte die Einheit Deutschlands zum Inhalt haben. Überlege Dir einmal diesen Gedanken …« Bereits einen Tag später lag Johannes R. Bechers Textvorschlag vor. Noch hatte die Hymne vier Strophen, Inhalt und Form erinnerten aber bereits an die spätere fertige Fassung. Unter dem Titel »Auferstanden« begann die erste Strophe: »Auferstanden aus Ruinen / Deutschland, unser Heimatland, / Von des Morgens Glanz beschienen / Und der Zukunft zugewandt. / Deutschland, Dir zum allerbesten / Wollen dienen wir vereint. / Hier im Osten – dort im Westen / Daß die Sonne, daß die Sonne / über Deutschland scheint … «
Diesen Hymnenentwurf sandte Becher nicht an Eisler sondern an den damals bekannten Komponisten Ottmar Gerster nach Weimar. Gerster vertonte den Text umgehend, am 23. Oktober 1949 lag seine Melodie vor. Durch einen Zufall trafen sich Hanns Eisler und Johannes R. Becher Ende Oktober in Warschau im Hotel »Bristol« zu Feierlichkeiten anlässlich des 200. Geburtstages von Johann Wolfgang von Goethe. Becher machte Eisler mit dem Hymnen-Gedicht bekannt und Eisler, sofort inspiriert, spielte am dortigen Hotel-Klavier eine Hymnen-Melodie vor, die sofort Anklang fand.
Am 4. November 1949 war in Ost-Berlin ein Vor-Spielen von Text und Melodie der Hymne vor einem Gremium von rund 30 SED-Spitzen- und Kulturfunktionären angesetzt. Es lagen nun eine Textfassung und zwei Ton-Varianten vor. Das Vorspielen und Vorsingen gestaltete sich als eine Art »Wettstreit«, an dessen Ende, am 5. November 1949, entschied sich wieder das SED-Politbüro unter Wilhelm Piecks Leitung für den Becher-Text und die Eisler-Melodie. Der einstimmige DDR-Regierungsbeschluss folgte erst am 10. November 1949. Die öffentliche Uraufführung der neuen Hymne des gerade gegründeten Staates DDR fand in der Ost-Berliner Staatsoper am 7. November 1949 anläßlich eines Staatsaktes zum Jahrestag der »Großen Sozialistischen Oktoberrevolution« statt. Von der Auftragserteilung bis zur Annahme des Beschlusses für eine neue deutsche Nationalhymne vergingen nicht einmal zwei Monate.
Die Nationalhymne von Becher und Eisler war nicht als Hymne eines separaten Staates, sondern als gesamtdeutsche Hymne angelegt. Das Streben nach nationaler Einheit kam in der Vers-Zeile »Deutschland, einig Vaterland« als auch in der wiederholten Erwähnung von »Deutschland« zum Ausdruck. Zwischen der Melodie der DDR-Hymne und der Joseph-Haydn-Melodie des »Deutschlandliedes« bestand eine latente Verwandtschaft. Diese und die Singbarkeit des Becher-Textes auf die Haydn-Melodie und des Hoffmann von Fallersleben-Textes auf die Eisler Melodie provozierten in der Vergangenheit manche Versuches eines Hymnen-Mixes.
Der ein halbes Jahr später – im Juni 1950 – veröffentlichte Text von Bertolt Brechts »Kinderhymne« spielte in der Diskussion um eine Nationalhymne für die DDR keine Rolle mehr. Brecht schrieb seine Hymne als anspielungsreiches Gegenlied zu der durch NS-Deutschland korrumpierten ehemaligen Nationalhymne und die gerade anlaufende Diskussion in Westdeutschland um die Wiedereinführung der dritten Strophe des »Deutschlandliedes« als Hymne der Bundesrepublik. Brechts »Kinderhymne« war eine Art Korrektur auf das traditionelle »Deutschlandlied«, die den neuen Bedingungen in Deutschland nach 1945 Rechnung trug – wie beispielsweise die Verse zeigten: »Anmut sparet nicht noch Mühe / Leidenschaft nicht noch Verstand. / Daß ein gutes Deutschland blühe / Wie ein andres gutes Land. / … Und nicht über und nicht unter / Andern Völkern wolln wir sein / Von der See bis zu den Alpen / Von der Oder bis zum Rhein. …« Hanns Eisler vertonte noch 1950 die »Kinderhymne«, die musikalische Anleihe bei Haydns »Deutschlandlied« war hier nicht mehr subtil, sondern sofort erkennbar.
Nach der öffentlichen Uraufführung der Nationalhymne im November 1949 setzte eine breite Kampagne ihrer Popularisierung ein. So erreichte die DDR-Führung in kürzester Zeit, dass die Becher-Eisler-Hymne von der DDR-Bevölkerung, insbesondere von der Jugend, positiv auf- und angenommen wurde. Mit dazu beigetragen hatte die in hohem Maße diskreditierte alte deutsche Hymne, das »Lied der Deutschen«, durch den Missbrauch dieser während der Zeit des Nationalsozialismus. Zudem boten Text und Melodie der neuen Hymne eine wirkliche Alternative.
Zu Beginn der 1970er Jahre schien es der DDR-Führung nicht mehr opportun, an ein »Deutschland, einig Vaterland« zu erinnern. Zwischen 1969 und 1973 verschwand der Becher-Text der Nationalhymne immer mehr aus der Öffentlichkeit und es war nur noch die Eislersche Instrumentalfassung der Hymne zu hören. Zur Eröffnung des Senders »Stimme der DDR« am 15. November 1971 – er löste den »Deutschlandsender« ab – wurde zum Sendeschluss erstmalig die DDR-Nationalhymne nur noch in Orchesterfassung ohne Textgesang intoniert.
Nach den Ereignissen im Herbst 1989 und dem Wiedervereinigungsziel 1990 gab es Überlegungen im Osten und Westen Deutschlands für eine neue Nationalhymne. Zur Disposition standen vier Varianten: die dritte Strophe des Deutschlandliedes; die erste Strophe der DDR-Hymne; Bertolt Brechts »Kinderhymne« oder ein Hymnenmix aus »Auferstanden aus Ruinen« und »Einigkeit und Recht und Freiheit«. Die politische Spitze der Bundesrepublik entschied sich – ohne eine öffentliche Diskussion anzuregen – für die dritte Strophe des Deutschlandliedes »Einigkeit und Recht und Freiheit«.
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