Ein Fluss verrostet
Umweltschützer und Touristiker kämpfen gegen die Verockerung der Spree
Gewässerkarten sind oft eine farbenfrohe Angelegenheit. In Sachsen etwa fließen die Weiße Elster, die Rote Weißeritz, die Schwarze Pockau. Die in Ostsachsen entspringende Spree kommt bisher ohne Farbadjektiv aus. Vielleicht aber muss sich das ändern. Denn je weiter sich der Fluss in Richtung Brandenburg vorarbeitet, umso stärker drängt sich ein neuer Name auf: die Braune Spree. Oder, falls das etwas zu anrüchig klingt: die Rostrote Spree.
Der Grund springt ins Auge: An einigen Stellen in der Niederlausitz hat der Fluss einen kräftig roten Ockerton, wenn nicht Schmelz- und Regenwasser für vorübergehende Klärung sorgen. Am Vetschauer Mühlenfließ aber lässt sich schon dauerhaft beobachten, was auch der Spree blühen könnte. Das Flüsschen strömt träge zwischen dichten Baumreihen hindurch und mündet südlich des Spreewalds in die verzweigte Spree. Es könnte ein idyllischer Wasserlauf sein, wäre nicht der penetrante Farbton, der an Färbereiabwässer erinnert. Rostrot ist nicht nur das Wasser, rostrot sind auch Stämme, Ufer und Sperrwerke. Sie alle sind bedeckt von feinem, färbendem Schlamm, der auch den Boden des Flusses bedeckt. »Wie ein Leichentuch«, sagt Isabell Hiekel.
Verheerend für die Umwelt
Hiekel ist die Sprecherin des Bündnisses »Klare Spree«, in dem alarmierte Flussanwohner seit Ende 2012 auf das Problem aufmerksam machen. Zu den Mitgliedern zählen Natur- und Umweltschützer, aber auch Bürgermeister und Fremdenverkehrsämter. Sie ahnen, dass es fatal für den Tourismus wäre, wenn die rostrote Brühe den Spreewald erreichen sollte - was bisher nicht der Fall ist, wie Hiekel betont. Das Wasserreich zwischen Burg und Lübben zieht gut eine halbe Million Touristen pro Jahr an, die aber kaum Lust darauf haben dürften, sich im Kahn durch eine verfärbte Landschaft staken zu lassen.
Verheerend wirkt sich der feine rötliche Schlamm bereits jetzt auf viele Flusslebewesen aus: Libellen, Muscheln und Fische verschwinden. Auch Angler sind resigniert: Die Fänge seien »deutlich gesunken«, sagt Edelbert Jakubik, Chef des Anglerverbandes Cottbus-Land. Er wohnt am Greifenhainer Fließ. Einst konnte er direkt vor der Haustür angeln. Das ist vorbei: Seit einigen Jahren, sagt er, »ist das Gewässer fischfrei«.
Wer wissen will, wo die rostrote Brühe herkommt, kann dem Greifenhainer Fließ folgen. Das Gewässer führt zu einem der vielen früheren Tagebaue. Tatsächlich ist die Quelle des Übels in der Lausitz auch ihr größter Schatz: die Kohle. Genauer gesagt, sind es zwei Bodenschätze: Kohle und Eisen. Letzteres kommt in der Region in erklecklichen Mengen vor und wurde als Raseneisenerz auch abgebaut und verhüttet - seit 1725 etwa im Ort Burghammer.
Die rostige Brühe entsteht, weil beim Abbau der Kohle der Boden umgewühlt und vor allem Grundwasser in großem Stil abgesenkt wurde. Dadurch kam das eisenhaltige Mineral Pyrit mit Sauerstoff in Verbindung und zersetzte sich. Jetzt sind viele Tagebaue ausgekohlt oder aufgegeben, das Wasser steigt wieder auf - und bildet nicht nur riesige Seen, sondern spült auch die Überreste des Pyrit aus. Dazu gehört Eisenhydroxid, das in geringen Mengen von ein bis zwei Milligramm je Liter unsichtbar bleibt, bei höheren Konzentrationen aber das Wasser rostrot trübt. In einigen Abschnitten der Spree und ihrer Zuflüsse liegen die Werte deutlich höher - und sie werden weiter steigen.
Fachleute sind seit 2008 alarmiert, als schneller Eiseneintrag in einem Gewässer zu einem plötzlichen Fischsterben führte. Seit starker Regen ab 2010 das Grundwasser rapide ansteigen ließ, ist auch für Laien nicht mehr zu übersehen, dass die Spree quasi verrostet. Bürger sind beunruhigt; das Bündnis »Klare Spree« sammelte binnen kurzem über 2000 Unterschriften. In Brandenburg, wo 2014 ein neuer Landtag gewählt wird, ist inzwischen auch die Landespolitik aktiv geworden. Im Januar beschloss der Landtag fraktionsübergreifend einen Antrag, in dem unter anderem Sofortmaßnahmen und »größtmögliche Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit« gefordert wurden. Im Februar lud SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck zum Spitzengespräch.
In Sachsen dagegen sitzt man das Thema aus. Im Freistaat wird zwar 2014 ebenfalls gewählt; zudem hat die Verockerung hier teilweise ihren Ursprung. Die Folgen aber sind erst jenseits der Landesgrenze sichtbar. Im Landtag wurde denn auch ein Antrag, der quasi identisch mit dem aus Potsdam war, mit CDU/FDP-Mehrheit abgelehnt. »Die Politik hat das Problem lange unterschätzt«, sagt die Grünen-Abgeordnete Gisela Kallenbach, »und in Sachsen unterschätzt sie es noch immer.« Derweil werden immerhin die Nachlassverwalter des Bergbaus aktiv. Die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV), die mit der Sanierung der Tagebaue beauftragt ist, hat ein Sofortprogramm gegen die Verockerung aufgelegt. Zunächst solle so schnell wie möglich ein »Schutzgürtel für den Spreewald« entstehen, sagt Klaus Zschiedrich, Leiter des Ingenieurbereichs Sanierung. So sollen stillgelegte Anlagen zur Reinigung von Grubenwasser wieder aktiviert, Dichtwände in die Erde getrieben, Brunnen gebohrt und Teiche erschlossen werden, in denen sich Eisenocker absetzen kann. Allein in diesem Jahr soll das Paket rund neun Millionen Euro verschlingen.
Problem für Generationen
Künftig reichen selbst solche Summen womöglich nicht mehr. Zum einen erwartet Zschiedrich, dass die Eisenbelastung noch mindestens fünf Jahre hoch bleibt und erst etwa in einem Jahrzehnt spürbar zurückgeht. Zudem muss der rostrote Schlamm aus Absetzbecken und Flussläufen regelmäßig abgebaggert und entsorgt werden. Die LMBV rechnet mit mehreren Tausend Tonnen im Jahr. Derzeit kostet die Entsorgung 65 bis 70 Euro je Tonne.
Wann die Spree und ihre Nebenflüsse tatsächlich wieder - wie es der Name des Bündnisses fordert - klar sind, ist nicht abzusehen. Zwar verspricht die LMBV, dass mit Inbetriebnahme einer Art Kläranlage am Vetschauer Mühlenfließ bereits ab Mai 2013 die Eisenkonzentration zumindest an dieser Stelle spürbar sinkt. Doch die rostrote Farbe verblasst nicht langsam, sondern verschwindet auf einen Schlag - wenn eine recht niedrige Belastung unterschritten wird. Zudem wird in der Lausitz weiter Kohle abgebaggert - aus Gruben, in die erst in Jahrzehnten das Wasser zurückströmt. »Das Problem«, sagt Winfried Böhmer vom Naturschutzbund Nabu, »beschäftigt uns noch Generationen.«
Wer von Böhmer die Folgen der Verockerung auf Gewässer wie das Mühlenfließ erklärt bekommt, der könnte meinen, es sei vielleicht ganz gut, dass die rostige Färbung nicht langsam verblasst. Was nicht aus den Augen verschwindet, bleibt auch im Sinn. Der Kohlebergbau, der einst Arbeit in die Lausitz brachte, bringt der Region heute viele »Belastungen«, sagt Böhmer: geschundene Landschaften, ein gestörter Wasserhaushalt, heiße Sommer wegen des Klimawandels. »Wenn das alles in den Preis für den Kohlestrom einginge«, sagt Böhmer, »würde den keiner mehr kaufen.« Nun bedrohen die Folgen des Bergbaus auch noch den Tourismus im Spreewald. Für Böhmer ist das »nur ein weiterer Grund, aus der Kohle auszusteigen«.
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