Urlaub im »Crazy Water Park«?
Ein Reise-Atlas soll Gazas Tourismusindustrie ankurbeln
Eine Gruppe Jugendlicher kreischt, als der Achterbahnwagen zum Looping ansetzt. Ein Mädchen im Ganzkörper-Bikini spritzt Wasser in Richtung ihrer Mutter. Die erholt sich derweil mit einem Eis auf der Sonnenliege. Glaubt man den retuschierten Bildern in der Hamas-Werbebroschüre, ist der »Crazy Water Park« das touristische Highlight im Gaza-Streifen.
Dass in Zukunft tatsächlich Touristen nach Gaza kommen, ist das Ziel von Amir Shurrab. Der Informatiker und Dozent für Geo-Information an der Fachhochschule Gaza hat den ersten englischsprachigen Touristen-Atlas für Gaza-Stadt herausgegeben. »Wir wollten Gazas Schönheit und Kultur teilen und ein anderes Gesicht als das aus den Medien zeigen«, sagt Shurrab.
Das schafft die sowohl in gedruckter Form als auch im Internet zugängliche Karte tatsächlich: Keine überfüllten Flüchtlingslager. Keine Einschusslöcher. Keine zerbombten Häuser. Stattdessen ein orientalisches Kleinod: Ein ehemaliges britisches Gefängnis, das zum Museum für Archäologie umfunktioniert wurde. Nachtclubs. Eine kleine baptistische Kirche. Ein altes Fort aus den Zeiten Napoleons. Im Westen zieht sich ein endloser Sandstrand entlang. Mit einem Mausklick lassen sich Restaurants, Apotheken oder Cafés anzeigen.
Trotzdem ist Gaza eines der absurdesten Ziele für Touristen. Spätestens seit der fast vollständigen Abschottung des Gaza-Streifens durch israelische und ägyptische Behörden im Jahr 2007 ist Tourismus in Gaza, so die »World-Tourism Organziation«, faktisch »nicht existent«. »Das Anmeldeprozedere dauert Monate und wenn du Pech hast sitzt du zwei Wochen vor verschlossenem Tor in der ägyptischen Wüste«, berichtet Ryan Foster, der als politischer Aktivst im vergangenen Jahr einreiste. Zuletzt belegten Reiseführer für die Zeit vor dem Krieg von 1967 eine Tourismusindustrie im Küstenstreifen. Auch Israelis kamen damals in Hotels, Casinos und Bars und bevölkerten die Strände. Heute hingegen warnt das palästinensische Gesundheitsministerium vor dem Baden im Meer. Seit der Zerstörung der einzigen Kläranlage würden Abwässer dorthin abgeleitet.
Auch die Umsetzung von Shurrabs Karte litt unter der politischen Situation. »Kartographie wird normalerweise durch Satellitenaufnahmen unterstützt, aber die israelischen Besatzungsbehörden hielten uns davon ab, den nächsten Satelliten zu benutzen«, berichtet er von dem Projekt, das immer wieder drohte, zu scheitern. Trotzdem ist er nicht der einzige, der sich für den aussichtslosen Wirtschaftszweig einsetzt. In der Hamas-Verwaltung trägt eine Abteilung den Namen »Tourismusbehörde«. Eine Reise-Website der Palästinensischen Autonomiebehörde beinhaltet seit einigen Monaten auch den Abschnitt »Visit Gaza«. An den Ausgängen der Schmugglertunnel »verteilen Hamas-Polizisten seit neuesten Einreisevisa«, lacht Foster. 20 Millionen Dollar investierte die Hamas in den »Crazy Water Park«, inklusive Wasserrutschen und Achterbahn. Am weißen Sandstrand eröffnete eine der Hamas nahestehende Stiftung das Ferienressort Al-Bustan. Bis zu 800 Vertreter der winzigen Wirtschaftselite der Region und abenteuerlustige arabische Scheichs treffen sich dort.
Tatsächlich erlebt Gaza zurzeit einen wahren Besucheransturm. 17 Hotels mit 450 Zimmern sind registriert. Fast alle sind ausgebucht. 5000 Vertreter politischer Delegationen meldete das Außenministerium der Hamas für Januar dieses Jahres. Ein Rekord - und in etwa so viele wie in Schloss Neuschwanstein pro Tag gezählt werden.
Gibt es also doch noch Hoffnung für Gazas Tourismusindustrie? Amir Shurrab weiß um die Aussichtslosigkeit. »Wir wollen vor allem Ausländern in Gaza helfen«, erweitert er sicherheitshalber die Zielgruppe seiner Karte, die selbst die Hoffnungslosigkeit symbolisiert: Sie endet mit einem mehrere hundert Meter breiten braunen Streifen. Symbole für Theater und Cafés fehlen dort. Es ist die mit automatischen Schussanlagen abgeriegelte Grenze zu Israel. Und der »Crazy Water Park«? Der wurde kürzlich wegen Chlormangel und einer bedenklichen Wasserqualität von Gazas Gesundheitsministerium geschlossen.
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