Und jährlich grüßt Genügsamkeit
Von Titeln redet in Leverkusen keiner mehr, aber die Champions League soll kommen
Einen Monat ist es her, dass Sami Hyypiä seinen persönlichen Countdown gestartet hat. Es war die Phase, als das mittlerweile fast stillgelegte Thema der doppelten Leverkusener Trainerspitze am muntersten brodelte - und das Gastspiel des FC Bayern bevorstand. Auf der Verpackung stand damals irreführenderweise Spitzenspiel - doch nach einer beschämend mutlosen ersten Halbzeit verloren die Rheinländer knapp, aber verdient. Es folgten ein Sieg in Düsseldorf, ein Remis gegen Wolfsburg - und vor dem wichtigen Duell heute auf Schalke erinnert sich Teamchef Hyypiä nun: »Ich habe vor Wochen von neun Endspielen gesprochen. Das ist wieder eines davon.«
Für André Schürrle, dessen Wechsel zum FC Chelsea bereits als perfekt vermeldet wird, dürfte es der finale Sixpack im Trikot der Rheinländer werden. In seinen zwei Spielzeiten in Leverkusen avancierte der 22-jährige Nationalspieler nicht gerade zum Liebling der Bayer-Fans - dafür hatte er unter der Woche zumindest ein paar Kilometer weiter rheinaufwärts seinen Spaß. Beim virtuellen Vorspiel mit dem Schalker Auswahlkicker Julian Draxler.
Treffpunkt waren die Kölner Räumlichkeiten eines Computerspielentwicklers, Schürrle unterlag beim Zweikampf an der Spielkonsole mit 0:2 und neckte den siegreichen Fachabiturinhaber Draxler anschließend: »Nie was in der Schule gelernt, immer nur PlayStation gespielt. Aber im echten Spiel wird das anders laufen.«
Im wahren Fußballerdasein erleben die Leverkusener allerdings gerade ein ziemlich abgewetztes Déjà-vu. Ihren Hang, guten Vorrunden schwächere bis schwache Rückserien folgen zu lassen, demonstrierten Bayer-Fußballer in der Vergangenheit schon häufiger. Und auch diesmal sank der Schnitt nach der Winterpause wieder - von 1,94 auf 1,45 Punkte pro Spiel.
Auch den früheren Sieger von UEFA-Cup und Champions League Hyypiä hat die Werksklubrealität inzwischen eingeholt. »Man kann nicht sagen, dass Bayern München schon Meister ist«, erklärte der 105-malige finnische Nationalspieler kurz vor der Winterpause noch tapfer. Seine Leverkusener waren da gerade unterwegs zum Pokalachtelfinale in Wolfsburg - wobei sich Hyypiä (»Wenn wir den DFB-Pokal nicht gewinnen, werden wir nicht zufrieden sein«) schon beim Finale in Berlin wähnte.
Es folgte ein 1:2 in Wolfsburg, zwei Monate später das vorzeitige Aus in der Europa League gegen Benfica Lissabon - und nun bangt Bayer um sein Direktticket in die Champions League. Eine Niederlage in Gelsenkirchen ließe den Vorsprung auf den direkten Verfolger Schalke auf nur noch einen Punkt zusammenschmelzen. »Wir stehen richtig unter Druck«, umreißt Stürmer Stefan Kießling die Lage recht treffend. Dass es mit dem nahenden Ende einer Saison stets wichtige Spieler aus dem unspektakulären Fußballstandort Leverkusen weg zu größeren Klubs zieht, ist ein Teil von Bayers Los. So drängte im Sommer 2011 der Chilene Arturo Vidal vehement auf einen Wechsel nach München, ehe er letztlich bei Juventus Turin unterschrieb. Dem Buhlen der Bayern um Lars Bender widerstand Bayer vor dieser Saison immerhin - ebenso wie dem ersten Werbemanöver des FC Chelsea um Schürrle, das nun aber von Erfolg gekrönt scheint.
Es ist ein ewiger Kreislauf, den auch die 25 Millionen Euro, die Bayers Profifußballabteilung jährlich vom Mutterkonzern erhalten soll, auf Dauer nicht stoppen können. National sind München und Dortmund weit enteilt - und es klingt nicht nach brennendem Ehrgeiz, wenn Sportdirektor Rudi Völler lächelnd erwähnt, wie wohl sich Bayer in seiner Rolle fühle: »Wir sehen uns zwischen Platz drei und acht.«
Leverkusens Trophäensammlung (UEFA-Cup 1988, DFB-Pokal 1993) dürfte noch länger auf Zuwachs warten. Es hilft nichts, dass Michael Ballack im Mai 2011, nach der letzten verpassten Meisterschaft, als Zwischenfazit seiner zweiten Schleife bei den genügsamen Rheinländern sagte: »Dieser Verein braucht einfach mal einen Titel, um sein negatives Image loszuwerden.« Zunächst wäre Leverkusen auf Schalke mit einem Remis zufrieden.
Bayers André Schürrle Foto: dpa/Wolf
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