Unbeeindruckt?
Tom Strohschneider über Umfragen, die SPD und deren Glaubwürdigkeit
Ja, mit Umfragen wird Politik gemacht. Ja, Umfragen verstärken apolitische Trends in der mediengetriebenen Demokratie. Ja, es gibt Demoskopen die wie manche Hauptstadtjournalisten auch sich selbst mehr als handelnde Akteure denn als beurteilende Beobachter sehen. Und doch bleiben Umfragen für die politische Debatte wichtig, es kommt allerdings darauf an, sie so skeptisch zu sehen wir man es auch mit Politikerreden hält. Und man sollte die Fragen aufgreifen, die manche demoskopische Erwähnung aufwirft.
Nun wird die Sozialdemokratie seit Wochen durch die Umfragemangel gedreht: Ein Institut veröffentlicht schlechte Zahlen, dem Publikum erscheinen die SPD und vor allem ihr Kanzlerkandidat als Verlierer, was bei der nächsten Umfrage die bekundete Wahlabsicht beeinflussen mag. Peer Steinbrück beherrscht deshalb das Pfeifen im Walde schon ganz gut: Er könne sich „nicht immer beeindruckt zeigen, auch von diesen ewigen Fragen nach Umfrageergebnissen, die alle zwei Tage inzwischen an die Scheuer gefahren werden“, hat der SPD-Kandidat diese Woche einem Radiosender erklärt.
Und so wird sich der frühere Finanzminister wohl auch heute wieder unbeeindruckt zeigen. Bei Forsa, einem Institut also, dem ein besonders schwieriges Verhältnis zur SPD nachgesagt wird, landen die Sozialdemokraten bei 22 Prozent und damit auf dem schlechtesten Umfragewert seit fast zwei Jahren. Die Befragung wurde vor dem Augsburger Parteitag durchgeführt, auf dem Steinbrück nach Ansicht vieler Beobachter eine Rede gehalten hat, die auf das nach links gewendete Wahlprogramm der Partei abstellte.
Zehn Millionen Wähler in der ominösen Mitte
Das hat Forsa-Chef Manfred Güllner nicht davon abgehalten, auf stern.de das in Augsburg beschlossene Wahlprogramm und die Talfahrt der Sozialdemokraten in eine direkte Beziehung zu setzen: Die SPD sei auf dem Parteitag nach links gerückt - doch „so kann sie nicht die zehn Millionen Wähler zurückgewinnen, die sie seit 1998 verloren hat. Die entstammen vorwiegend der Mitte.“ Anders formuliert: Güllner ist der Meinung, die SPD stehe so schwach da, weil sie zumindest rhetorisch zu weit nach links gerückt ist.
Das widerspricht einer allgemeinen und vor allem auf der politischen Linken etablierten Ansicht, derzufolge es genau umgekehrt ist: Die Sozialdemokraten haben vor allem seit 2003 wegen des Agenda-Kurses der damaligen Parteispitze zahlreiche Anhänger und Mitglieder verloren, mithin also wegen der Aufgabe linker Ziele. Was ist nun richtig?
Eine andere Umfrage, diesmal von der Forschungsgruppe Wahlen, hat kürzlich gezeigt, dass die SPD mit der Betonung von politischen Forderungen, die gemeinhin als Schritt in Richtung soziale Gerechtigkeit angesehen werden, einerseits im Trend liegt, man von der SPD andererseits aber nicht viel erwartet: Eine große Mehrheit zum Beispiel ist für einen gesetzlichen Mindestlohn, den nun auch die Sozialdemokraten anpeilen, 46 Prozent der Befragten sind auch der Auffassung, es werde der SPD bei der Wahl helfen, wenn sie einen Schwerpunkt auf Fragen der „sozialen Gerechtigkeit“ legt.
Allerdings sind noch mehr Befragte, nämlich 54 Prozent, der Meinung, dass es in Deutschland im Hinblick auf die soziale Gerechtigkeit nicht viel anders aussehen würde als jetzt, wenn nach der nächsten Bundestagswahl Rot-Grün regieren würde. Zwölf Prozent der Befragten befürchten sogar, es würde im Falle einer SPD-geführten Bundesregierung eher ungerechter zugehen.
Korrekturen am SPD-Kurs ohne Auswirkungen
Ende März hatte eine andere Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen gezeigt, dass die Ankündigung der Sozialdemokraten, eine Politik links der Mitte verfolgen zu wollen, für das Abschneiden der Partei bei den Bundestagswahlen von vielen als gar nicht entscheidend angesehen wird. Nur ein knappes Viertel meint (23 Prozent), eine nach links rückende SPD werde ein besseres Ergebnis erzielen, etwas mehr glauben (26 Prozent), ein nach links korrigierter Kurs werde eher zu einem schlechteren Abschneiden führen. Und eine ziemlich große Gruppe von 40 Prozent sagt, linke Ankündigungen der SPD hätten weder noch Auswirkungen, ihre Zahl ist bei den SPD-Anhängern sogar noch etwas größer.
Steinbrück, der sich „nicht immer beeindruckt zeigen“ will von Umfragen und der politischen Debatte darüber, wäre gut beraten, sich die Zahlen trotzdem genau anzusehen. Denn sie künden von einer politischen Erschlaffung sozialdemokratischer Politik: nicht einmal eine Mehrheit der eigenen Anhänger glaubt, dass die SPD überhaupt noch einen Unterschied macht. Sagen 32 Prozent, es sei unter schwarz-gelber Regentschaft ungerechter geworden, glauben nur 27 Prozent, es würde im Falle einer Neuauflage von Rot-Grün wieder gerechter. Eine Mehrheit hält es für gar nicht entscheidend, und hierin liegt das große Problem.
Auf die Demoskopen, die sich Kritik anhören müssen, wird man das aber nicht schieben können. Nicht ein Forsa-Güllner oder die Forschungsgruppe Wahlen sind verantwortlich dafür, dass die Glaubwürdigkeit sozialdemokratischer Politik so ausgehöhlt ist, dass ein vergleichsweise linkes Wahlprogramm den meisten Wählern eben nur als Spekulationsblase erscheint. Ebenso wenig liegt es an den Umfrageinstituten, dass viele zwischen den Parteienlagern, welche die politische Bühne gern dominieren, kaum noch Unterschiede erwarten. Dass auch die Linkspartei in dieser Lage nicht durch die Umfragedecke schießt, zeigt nur, wie es mit der Diskussion über politische Alternativen, die diesen Namen auch verdienen, wirklich aussieht.
Es sind übrigens auch Umfragen der gern gescholtenen Institute, auf welche links der Mitte gern hingewiesen wird, wenn es darum geht, einen Beleg für die Bereitschaft einer Bevölkerungsmehrheit anzuführen, sich auf grundlegende Alternativen zum real existierenden Kapitalismus einzulassen. Daran anzuknüpfen wäre die politisch entscheidende Kunst. Wer beherrscht sie?
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