Dem verfallen, was ist
Seltsame Scheu, vor diesem Wort: Verfall. Jene Litfaßsäule, mit der 40 Jahre DDR gleichsam umkippen, und der Hai auf dem anderen Bild: hier das Ende einer Epoche, dort ein Anfang, der Westen, mitten in Leipzig. Die Nachrichten-Säule, Gleichnis für Neugier, ist verwaist - aber jenes fremde hässliche Showrequisit, dem jetzt alle Aufmerksamkeit gehört, enthält ja ebenfalls den Absturz, nämlich in eine Welt der billigen pappigen Illusionen, wie sie in den Stücken Ödön von Horváths den Rummelplatz bevölkern. Thomas Steinert fotografiert so, dass man jene, die den allerbilligsten von den billigen Illusionen verfallen, nicht verurteilen will, sondern trösten möchte.
In vielen seiner Fotos hat Steinert die DDR geadelt, er rechnete sie hoch auf den Existenzialismus, so war sie sehr welthaltig trotz Mauer. Der Künstler wurde entsprechend belohnt: Er musste sich immer und überall durchschlagen, seine Kraft: notgedrungen eine dauernde Hilfskraft. Also adelte er auch seine Ohnmacht, erhob sie zur Philosophie - die seine Fotos zu jener Berühmtheit brachte, von der er selber nie berührt wurde.
IM BILDE
Heute: Thomas Steinert
nd: Was reizt Sie am Ruinösen, an Friedhöfen, an Untergangszeichen?
Es ist wahr, in den 1980er Jahren habe ich wohl die meisten Friedhöfe auf dem Gebiet der DDR besucht. Das war der einzige Ort in dieser allgemeinen Sperrzone, wo man ungestört fotografieren konnte. Zudem hatte ich irgendwo gelesen, dass man sich von der Einwohnerschaft eines Ortes am schnellsten ein genaues Bild machen kann, wenn man zunächst einen Blick auf ihren Friedhof wirft. Dem Kind ist der Friedhof schrecklich-geheimnisvoll gewesen, dem Jugendlichen war er ein Kick mehr und dem Erwachsenen ein zerfallendes Geschichtsbuch. Er kam auch meinem Temperament entgegen, weil mir der Moment, da scheinbar Bedeutendes zu Unbrauchbarem wird, doch immer relativ lang gerät.
Wann verlässt ein Foto die Dokumentation, wird Kunst?
War ich mir im Urteil bei dieser Frage unsicher, fand ich Orientierung im Credo: Kunst ist die Beseelung des Seelenlosen.
Ihre Fotos: wieviel Trauer, wieviel Lebensfreude - sind beide ein Paar oder Feinde?
Das eine ist ohne das andere Nichts. Mir begegnete nie ein (lebender) Mensch, dem diese Problematik was bedeutete.
Fotografieren Sie auf eine Utopie zu?
Als Knabe war ich geradezu vernarrt in die Zukunft, verschlang utopische Romane und lief mit einem Pappeimer über dem Kopf als kühner Kosmonaut durchs Dorf. Nun, auf meine letzten Tage: Bittsteller beim Sozialamt. Was »das Große Ganze« angeht, fürchte ich, hat man der Menschheit in der Frage nach ihrer Zukunft ein wohl zu großes Kreuz aufgeladen - bin ich verpflichtet mitzutragen? Worauf soll man hoffen - auf die materielle Zufriedenheit Aller, mit Nietzsche geredet, auf den »letzten Menschen«, der sich seine freie Zeit nach Marx mit »Jagen und Fischen« vertreibt - meinetwegen. Nur woher sollen der Wald und die laufenden Ziele für Alle herkommen? Mag der Mensch nur weiter irren, solang er strebt - die Barbarei wird immer in seiner Nähe sein.
Interview: H.-D. Schütt
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