Wie halten wir es mit der SPD?
Beim Bundesparteitag fordern die Grünen-»Reformer« eine größere Distanz zu den Sozialdemokraten
Die Grünen stecken in einem Dilemma. Bei der Bundestagswahl im Herbst dieses Jahres haben sie gute Chancen, das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte einzufahren, aber eine Regierungsbeteiligung ist unsicher. Laut Umfragen reicht es nicht für Rot-Grün. Vor allem Grüne, die Sympathien für eine mögliche Koalition mit der Union haben, wollen beim dreitägigen Programmparteitag an diesem Wochenende in Berlin die Delegierten zu einer größeren Distanz zur SPD bewegen. Die Frankfurter Basis fordert in einem Antrag, den der Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs und Bayerns Landeschef Dieter Janecek unterstützen, die Passage im Entwurf des Parteivorstands »Wir kämpfen in diesem Bundestagswahlkampf für starke Grüne in einer Regierungskoalition mit der SPD« zu streichen. Stattdessen wollen die »Reformer« im Wahlkampf »für unsere Inhalte und Kandidaten engagiert werben und streiten - ohne Rücksicht auf unsere Konkurrenten und Mitbewerber«. Sie fürchten einen »rot-grünen Wahlkampf - womöglich noch mit einer unsäglichen Zweitstimmenkampagne, gemeinsamen Auftritten und Absprachen«.
Laut Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke werden die etwa 820 Delegierten voraussichtlich am heutigen Abend über den Antrag abstimmen. Vor Journalisten bezeichnete sie die Forderung der »Reformer« als eine »Nuancenverschiebung«. Tatsächlich ist sie weit mehr als das. Wenn der Antrag Erfolg haben sollte, würde die Koalitionsaussage im Programm deutlich abgeschwächt werden.
Die CDU wird in dem Antrag nicht erwähnt. Nichtsdestotrotz ist es naheliegend, dass die Antragsteller um den Reformer-Koordinator Janecek die Chancen für Schwarz-Grün erhöhen wollen, indem sie auf Abstand zur SPD gehen. Zwar hätten die »Reformer« auch keine Probleme mit Rot-Grün, wenn sich eine solche Regierung nicht zu weit von der Politik der Agenda 2010 entfernen würde, aber ihnen sind vor allem die Fehltritte des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück ein Dorn im Auge, weil diese den gemeinsamen Wahlsieg gefährden. Diese Einschätzung teilten die »Reformer« kürzlich bei einem gemeinsamen Treffen.
Bei einer Konkurrenzveranstaltung sprachen sich vor wenigen Wochen die sogenannten Parteilinken für Rot-Grün aus. Sollte ein Bündnis mit der Union, das im Wahlprogramm nicht ausgeschlossen wird, in den nächsten Monaten wieder ein Thema bei den Grünen werden, wollen sie die Basis fragen. Berlins Landeschef Daniel Wesener meint, dass ein Parteitag oder einen Länderrat über Schwarz-Grün entscheiden sollte.
Im Programmentwurf werden zwar Steuererhöhungen für Vermögende und Spitzenverdiener angekündigt, aber die Landesvorstände Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz stellen weitergehende Forderungen. Sie wollen, dass sich die Partei nicht erst nach dem Auslaufen einer zeitlich befristeten Vermögensabgabe, sondern auch schon früher für eine Vermögensteuer einsetzt, die auch von der SPD gefordert wird. Der Kreisverband Hagen will, dass »eine verfassungskonforme Vermögensteuer« bereits in der nächsten Legislaturperiode wieder eingeführt wird. Mit den Einnahmen aus der Vermögensabgabe sollen die Schulden des Bundes abgebaut werden. Das Aufkommen aus der Vermögensteuer würde hingegen allein den Ländern zustehen.
Über die Einführung dieser Steuer hatten die Grünen zuletzt beim Bundesparteitag in Kiel 2011 gestritten und sich auf den Kompromiss geeinigt, zunächst eine Vermögensabgabe einführen zu wollen. Im Lager der »Reformer« will man die Vermögensteuer »umfassend überprüfen«, wie es in einem Antrag heißt, der auch von Dieter Janecek und dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer unterzeichnet wurde. Sie wollen sicherstellen, dass Unternehmen nicht allzu hohe Steuern zahlen müssen. Eine »Substanzbesteuerung im Mittelstand« solle vermieden werden.
Einen Vorgeschmack darauf, wie heftig die Auseinandersetzungen auf dem Parteitag geführt werden dürften, bekommt man auf der Webseite »Grün Links Denken«. Dort bezeichnete Rasmus Andresen, Abgeordneter in Schleswig-Holstein und Mitglied des Parteirats, kürzlich die Anträge der »Reformer« als »eine Kriegserklärung an vernünftige Haushaltspolitik in Rot-Grün regierten Ländern und überall anderswo«.
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