Proteste rund ums neue Maracanã

Viel Ärger begleitete das erste Spiel im umgebauten Stadion von Rio de Janeiro

  • Andreas Behn, Rio
  • Lesedauer: 3 Min.
Im legendären Maracanã-Stadion wird nach über zweieinhalb Jahren Umbau wieder Fußball gespielt. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, politische Prominenz aus Rio de Janeiro und 25 000 geladene Gäste verfolgten das erste Match am Samstagabend.

Sehen so künftig Fußballfeste aus? Im Maracanã wird nach zweieinhalb Jahren Umbau endlich wieder Fußball gespielt. Doch die »normalen« Fußballfans hatten an diesem Abend keinen Zugang zu dem Spektakel in dem Stadion, das privatisiert werden soll. So werde es auch in Zukunft sein, befürchten Kritiker. Aktivisten der Bewegung »Das Maracanã gehört uns« machten ihren Protest mit einer Demonstration vor dem Stadion und mit Transparenten auf den Rängen deutlich.

Am Eröffnungsabend gab es zumindest reichlich Tore zu sehen. Mit 8:5 Toren besiegte eine Auswahl von Alt-Stars um Ex-Weltmeister Ronaldo ein vom ehemaligen Stürmerstar Bebeto angeführtes Seniorenteam. Ronaldo, schwergewichtiges Aushängeschild des Organisationskomitees der WM 2014, steuerte zwei Treffer bei, seine Dribblings erinnerten ein wenig an frühere Zeiten.

Nach dem Abpfiff ließ der zweimalige Weltmeister seinem Unmut über den Weltverband FIFA freien Lauf: Brasilien werde der Welt und all denen, die an unserer Fähigkeit zweifeln, die WM zu organisieren, eine Lektion erteilen. Wiederholt hatte die FIFA die Verzögerungen bei den Stadionbauten in Rio de Janeiro und den anderen elf Austragungsorten der WM 2014 kritisiert. Generalsekretär Jérôme Valcke hatte sogar einmal dafür plädiert, Brasilien einen »Tritt in den Hintern« zu verpassen, damit die Bauarbeiten endlich vorangingen. Erst eine Entschuldigung des FIFA-Präsidenten Josef Blatter konnte den Zwist kitten.

Doch auch im Maracanã ist es unübersehbar, dass die Organisatoren in Verzug sind. Weite Teile der Tribüne sind noch nicht montiert, an vielen Stellen die Bauarbeiten noch nicht abgeschlossen. Nach der Renovierung für umgerechnet 300 Millionen Euro soll das Stadion 79 000 Zuschauer fassen. Seit Monaten wird Tag und Nacht gearbeitet, um den Fußballtempel bis zur offiziellen Eröffnung am 2. Juni mit einem Freundschaftsspiel gegen England fertigzustellen. Wegen Akkordarbeit und miserablen Arbeitsbedingungen auf der Mammutbaustelle waren die Arbeiter mehrfach in Streik getreten.

Um den elitären Charakter des Festakts zu übertünchen, wurden 8000 Arbeiter und ihre Familien zu dem Testspiel eingeladen. Eine Geste, die einige von ihnen nutzen, ihren mageren Lohn aufzubessern: Sie verkauften die Eintrittkarten auf dem Schwarzmarkt vor dem Stadion.

Das Maracanã, das zur ersten WM in Brasilien im Jahr 1950 erbaut wurde, fasste einst über 200 000 Besucher. Es war Ausdruck der größten Leidenschaft der Brasilianer, dort wurde gemeinsam gefeiert und gelitten. Ein Treffpunkt von arm und reich, in dem die Fans fast jedes Fußballspiel zu einem Volksfest machten. Dieser Tradition haben FIFA und politisch Verantwortliche in Brasilien ein Ende bereitet. In den neuen Stadien wird es keine Stehplätze mehr geben, die Eintrittspreise sind schon seit längerem für viele unbezahlbar. Statt Fußball zum Anfassen sind nun die meisten auf Fernsehübertragungen angewiesen.

Bürgerinitiativen und Aktivisten sozialer Bewegungen nutzten das Testspiel für ihren Protest. Schon am Nachmittag demonstrierten sie gegen die Demolierung des Indígena-Museums, einer Schule und anderer Sportstätten in der Nachbarschaft, die dem Umbau weichen müssen. Erst vor wenigen Wochen war das denkmalgeschützte Museum, das von einer Gruppe Indígenas besetzt war, mit einem gewalttätigen Polizeieinsatz geräumt worden. Auf dem Gelände wird nun ein Olympiamuseum errichtet.

Besonderen Unmut erregt die bevorstehende Privatisierung des Maracanã. Die Modernisierung wurde fast ausschließlich mit öffentlichen Mitteln bestritten. Die Konzession, die die Nutzung des Stadions einem Großunternehmer für 35 Jahre überlassen wird, sehe aber nur eine Rückzahlung von 17 Prozent dieser staatlichen Investitionen vor, erklärte Gustavo Mehl vom »Protestkomitee WM und Olympia«.

Der Protest ist Teil einer breiten Stadtteilbewegung, die auf die negativen Auswirkungen der Fußball-WM und der Olympischen Spiele 2016 aufmerksam macht. Zehntausende seien bereits wegen der Neubauten und der Zufahrtswege aus ihren Wohnungen vertrieben worden, so eine Studie des Bewegungskomitees. Insbesondere arme Menschen würden sozialen Säuberungen zum Opfer fallen, die Immobilienspekulation und die Kommerzialisierung des Sports werden als Kehrseite des Spektakels kritisiert.

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