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Samen-Bomben und Brennessel-Tapas
Im Wendland läuft die 24. Kulturelle Landpartie - in 100 Orten werden Veranstaltungen geboten
Rudi ist erst fünf und doch schon Experte im Bombenbauen. Im Samen-Bombenbauen genauer gesagt. »Du musst mehr Lehm nehmen und weniger Komposterde«, belehrt der Knirps die 55-jährige Inka, die in einer Schale einen erdigen Teig knetet und zu einer tennisballgroßen Kugel zu formen versucht. Rudi hat Recht, tatsächlich bekommt die Masse mit ein paar Fingerspitzen mehr Lehm eine bessere Konsistenz.
Auf einer hölzernen Anrichte stehen Gläser mit Samen: Stangenbohnen und Kidneybohnen, Kürbis- und Sonnenblumenkerne, Samen von Feuer- und Ringelblumen. »Die musst du jetzt in die Kugel stecken«, sagt Rudi. »Fünf oder sechs reichen für eine Bombe.« Nun muss das Ganze nur noch trocknen, dann kann die Samen-Bombe an einen Platz der Wahl geworfen oder gelegt werden.
Der Samen-Bombenbau auf dem von einer Wohngemeinschaft bewirtschafteten Hof in dem Dörfchen Weitsche ist eine der zahlreichen Aktionen, mit denen am Donnerstag die 24. »Kulturelle Landpartie« im Wendland eröffnet worden ist. Seit 1989 öffnen jedes Jahr zwischen Himmelfahrt und Pfingsten Aussteiger, Künstler und Kulturschaffende im Kreis Lüchow-Dannenberg ihre Ateliers und Werkstätten, gibt es in rund 100 Orten der Region Ausstellungen, Konzerte, Kabarett und Theateraufführungen. Viele Angebote richten sich insbesondere an gestresste Städter: Therapeuten offerieren in Gärten und Scheunen Reiki, Medizinradarbeit und Massagen aller Art. In Dübbekold verspricht »Biyun Qi Gong« Stärkung und Ausgleich. Wem das nicht hilft, der kann es mit »Hawaiischer Massage Lumi Lumi Noi«, mit »Vitametik« oder tibetischen Klangmassagen probieren. Es gibt Kurse für nahezu alles und jeden. Beim Bogenschießen und -bauen kann ebenso reingeschnuppert werden wie beim Harfespielen. Interessierte können an Wildkräuterwanderungen teilnehmen oder an Workshops für zentralasiatischen Ober- und Untertongesang. Abends werden Scheunen und Innenhöfe mit ein paar Kisten, Holzplatten und Bierzeltgarnituren zu Konzert- und Theaterbühnen umgebaut. Die »17 Hippies« spielen Weltmusik auf einem Hof in Bülitz, in Güstritz rocken die »Meiselgeier«, der in die Jahre gekommene Widerstandsveteran »Klaus der Geiger« fidelt in der Widerstandskneipe »Wiese« in Gedelitz. An fast allen der rund 100 Ausstellungspunkte werden die Besucher aufs Beste mit selbst gebackenen Kuchen und Spezialitäten aus der Region verwöhnt. Eine Wohngemeinschaft bewirtet Gäste mit »Brennessel-Tapas« und »zapatistischem Bio-Kaffee«. Es gibt fangfrischen Fisch aus Gorleben und Bratwurst vom Wildschwein aus den weitläufigen -Wäldern des Wendlandes. Und in Kussebode jeden Tag eine Führung durch die kleine Brauerei, die seit ein paar Jahren das heimische »Wendland-Bräu« herstellt und vertreibt.
Die »Kulturelle Landpartie« gilt als größter Ausstellungs- und Veranstaltungszyklus dieser Art in Deutschland. Sie geht auf die Proteste der Bevölkerung des Landkreises Lüchow-Dannenberg gegen Atomanlagen zurück. Nach den ersten großen Demonstrationen in Gorleben zogen in den 1970er- und 1980er Jahren zahlreiche Kulturschaffende aus Großstädten ins Wendland.
Auch die diesjährige Landpartie thematisiert den Anti-Atom-Protest. Überall haben die Menschen zu einem gelben Kreuz zusammengenagelte Latten an die Scheunen gehängt oder in die Vorgärten gestellt - das »X« ist das Symbol des Protestes gegen Castortransporte. In Meuchefitz lockt die interaktive Ausstellung »Beton im Gleisbett«. An etlichen der »Wunderpunkte« genannten Aktions- und Ausstellungsorte gibt es Vorträge zum Thema Atomkraft.
Programminformationen unter: www.kulturelle-landpartie.de; Tel. 05841-97 69 40
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