Ein substanzieller Beitrag

Sigmar Gabriel hat die Flucht nach vorn angetreten. Die gute alte Sozialistische Internationale, in der die SPD sehr lange den Ton angegeben hat, gefällt ihm nicht mehr. Sie ist nicht mehr hip, und deshalb hat der einstige Popbeauftragte der Sozialdemokraten sich einen neuen Verein gebastelt. Der hat einen englischen Namen – Progressive Alliance – und soll nur die Guten, Edlen und Vorzeigbaren beherbergen. Die anderen, die laut Gabriel „mehr in der Vergangenheit denn in der Gegenwart“ leben und - „schlimmer noch“ - „viel zu lange anti-demokratische Parteien in ihren Reihen geduldet“ haben, die sollen sehen, wo sie bleiben. Jedenfalls nicht mehr an der Seite der SPD, die kurzerhand die Mitgliedschaft in der einst von Willy Brandt geführten Sozialistischen Internationale einfriert und ihren Mitgliedsbeitrag auf einen kleinen symbolischen Betrag reduziert.

Nachlesen kann man Gabriels Begründung in einer im Internet verbreiteten Erklärung, in der sich auch folgender aufschlussreicher Satz findet: „Nüchtern muss man feststellen, dass die Sozialistische Internationale (SI) in den letzten Jahren weder zu den Exzessen der Finanzmärkte, noch zu den anderen globalen Herausforderungen – vom Klimawandel bis zu Bekämpfung des Hungers – irgendeinen substanziellen Beitrag geleistet hat.“ Das muss man sich wörtlich auf der Zunge zergehen lassen – und wird dabei feststellen, dass Sigmar Gabriel mehr recht hat, als er beabsichtigt. Kein substanzieller Beitrag zu den Exzessen der Finanzmärkte? Die SI wollte um die Jahrtausendwende den scharfen neoliberalen Kurs der Neuen Mitte von Gerhard Schröder und Tony Blair doch nicht ganz so scharf mitgehen. Deshalb musste die SPD den „substanziellen Beitrag“ eben alleine leisten: Sie deregulierte die Finanzmärkte, dass bei den Spekulanten die Sektkorken knallten . Was sich „Gesetz zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland“ nannte, war eine Einladung an alle, die auf Kosten anderer das schnelle Geld machen wollen. Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften wurden von der Steuer befreit, der Handel mit Derivaten im Immobiliengeschäft wurde erleichtert usw. Etwas später wurden auch Hedge Fonds zugelassen – so ziemlich das Windigste, was das Spekulationsgeschäft zu bieten hat.

Diese Politik hatte fatale Folgen, die SPD bereut sie inzwischen wenigstens teilweise und dezent, ohne ihre Ikone Gerhard Schröder zu demontieren. Dass Gabriel nun der alten SI vorwirft, sie hätte nicht genug getan, um den Kurs seines Vorvorgängers Schröder zu bekämpfen, ist eine tolle Volte. Wenn die neue Progressive Alliance nach dieser Pfeife tanzt, dann gute Nacht.

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