Läden mussten zum Spottpreis verkauft werden
Eine Audioführung begibt sich auf die Spuren jüdischer Unternehmen in Neukölln
Der Berliner Bezirk Neukölln gilt gemeinhin als ein Ort der Vielfalt und der kulturellen Begegnung. Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern und mit verschiedensten persönlichen Hintergründen leben hier miteinander. Es sind dabei nicht zuletzt die vielen kleinen Geschäfte, Boutiquen, Basare und Wochenmärkte, die das typisch quirlige Leben auf den Straßen Neuköllns prägen. Bereits zu Zeiten der Weimarer Republik, in den 1920er Jahren, siedelten sich Gewerbetreibende in den Straßen rund um den Hermannplatz an. Dass sich unter ihnen viele jüdische Unternehmer befanden, die bis zum Machtantritt der Faschisten ein ganz selbstverständlicher Bestandteil Neuköllns waren, ist ein heute oft vergessener Aspekt der Geschichte des Bezirkes.
Im aktuellen Themenjahr »Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933-1938-1945« erinnert jetzt das Institut für Geschichtswissenschaften der Berliner Humboldt-Universität an das jüdische Leben in Neukölln. Mit der Hörführung unter dem Titel »Auf dem Damm … Jüdische Unternehmen zwischen Hermannplatz und Maybachufer in den 1930er Jahren« können sich Interessierte mit ihrem mp3-Player auf die Spurensuche begeben. Die Führung kann kostenlos im Internet heruntergeladen werden. Es gibt 15 Stationen. Anhand von Beispielen werden Verfolgung und Vernichtung jüdischen Geschäftslebens beschrieben.
Start- und Schlusspunkt des insgesamt knapp anderthalbstündigen Rundganges ist der Hermannplatz. Auf dem immer schon belebten Platz im äußersten Norden des Bezirks befindet sich seit 1929 das Kaufhaus Karstadt, das zum Zeitpunkt seiner Eröffnung als das modernste Warenhaus Europas galt. Obwohl Karstadt nie einen jüdischen Eigentümer hatte, waren die Filialen des Konzerns immer wieder Ziel antisemitischer Attacken. Warenhäuser mit ihrem großen Angebot wurden von den Nazis mit »jüdischem Kapital« in Verbindung gebracht und dem »bodenständigen deutschen Gewerbe« gegenübergestellt.
Anfang 1930 lebten in Neukölln rund 2900 Juden. Hatten die Nazis zunächst kaum Rückhalt in dem traditionell roten Arbeiterbezirk, nahm spätestens ab 1932 die Straßengewalt gegen jüdische Menschen und jüdisches Eigentum spürbar zu. Als am 1. April 1933 ein reichsweiter Boykott gegen jüdische Geschäfte ausgerufen wurde, standen SA-Posten vor den jüdischen Läden in Neukölln. So auch vor dem Seidengeschäft Lasker und Rynarzewski in der heutigen Karl-Marx-Straße 12. »Trotz des Umbruchs im Jahre 1933 waren wir entschlossen, das Geschäft zu halten, das auch weiterhin gut ging«, erinnerte sich der ehemalige Miteigentümer Jakob Rynarzewski bei einem späteren Entschädigungsverfahren. Erst nachdem am 12. November 1939 die »Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben« in Kraft trat und das Geschäft im selben Jahr »arisiert« wurde, sprich: zu einem Spottpreis verkauft werden musste, flüchteten die beiden Unternehmer über Schanghai in die USA. Viele Deutsche bereicherten sich an den zwangsweise enteigneten jüdischen Unternehmen. So geschah es auch in Neukölln, wo viele der neuen Besitzer Nachbarn der ursprünglichen Eigentümer gewesen waren.
Download des Audioguides: www.geschichte.hu-berlin.de/ bereiche-und-lehrstuehle/ dtge-20jhd/forschung/ laufende-forschungsprojekte
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