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Taksim-Platz: Piano statt forte

Deutscher Klavierspieler begeisterte Demonstranten in Istanbul / Angst vor Stürmung des Gezi-Parks

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist eine Szene, die selbst Regisseure türkischer Schmonzetten wohl als zu kitschig geschnitten hätten: Zwischen Wasserwerfern und Tausenden Demonstranten sitzt ein hagerer Mann am Piano. Wo sonst kontinuierlich Demonstranten für den Rücktritt Erdogans skandieren, spielt David Martello aus Konstanz die Friedenshymne »Imagine« von John Lennon.

Glaubt man den Drohungen Erdogans, wird das spontane Pianokonzert in der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag nicht mehr als ein Intermezzo bleiben. Türkische Medien berichteten am Donnerstag, der Premier habe seinen Innenminister angewiesen, »das Problem« Gezi-Park innerhalb von 24 Stunden zu lösen. »Ich weiß gar nicht mehr, wie oft wir diese Drohung schon gehört haben. Wenn sie kommen, kämpfen wir«, sagt Hamit mit gelbem Bauhelm auf dem Kopf. Normalerweise geht der 17-Jährige um diese Uhrzeit zur Schule, nun schleppt er Stahlträger zu einer der Barrikaden.

Nach zwei Wochen Straßenkämpfen sind die Vorbereitungen auf die Erstürmung des Gezi-Parkes professioneller denn je. An den Versorgungsständen verteilen Helfer Atemschutzmasken und Schwimmbrillen. Blaue Müllsäcke, gefüllt mit Medikamenten und Verbandsmaterial, stapeln sich im Lazarett des Lagers. Die Volksabstimmung, die Regierungssprecher Hüseyin Çelik über den Erhalt des Gezi-Parks angeregt hat, stößt hingegen nur auf Spott: »Wie werden die Leute wohl abstimmen, nachdem uns die Pinguinsender seit Wochen als Terroristen hinstellen?«, fragt der 23-jährige Anglistikstudent Mustafa.

Als »Pinguinsender« gelten den Demonstranten staatsnahe Medien, nachdem der Fernsehsender CNN Türk zu Beginn der Proteste statt eines Liveberichts einen Film über Pinguine gezeigt hatte. »Wir brauchen endlich regelmäßige Treffen«, fordert der Georgier Mika. Er ist einer der vielen ausländischen Aktivisten, die spontan aus Griechenland, Spanien oder Lateinamerika nach Istanbul geflogen sind. Auf einer Decke, die immer noch nach Tränengas riecht, erzählt er einer Gruppe türkischer Jugendlicher vom Sinn gewaltlosen Widerstandes. Ein paar Zelte weiter arbeitet ein Niederländer daran, die zerstörte Videoübertragung aus dem Camp zu reparieren.

Am anderen Ende des Parks macht man Farbeier bereit. Auf dem Taksim-Platz ist die Polizei unterdessen Teil des Stadtbildes geworden. Gepanzerte Mannschaftsbusse und einige Hundert Polizisten stehen neugierigen Passanten und Touristen gegenüber. »Natürlich hab› ich Schiss‹«, gibt Mustafa zu. Zusammen mit einigen Hundert anderen hört auch er am Abend den Liedern David Martellos zu. Als eine Art symbolische Wiederbesetzung wird dessen Klavier später in die Mitte des Taksim-Platzes getragen. Die Polizei hält sich zurück. Es bleibt eine Nacht ohne Tränengas. Als Martello Paul McCartneys »Let It Be« spielt, können trotzdem viele die Tränen nicht zurückhalten. Vor den Wasserwerfern der Polizei summen sie den Refrain mit.

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