Grausiger Doppelmord in Sing Sing
Am 19. Juni 1953 wurden Ethel und Julius Rosenberg hingerichtet
Die Hinrichtung war ursprünglich auf 23 Uhr festgesetzt worden. Doch die Anwälte von Ethel und Julius Rosenberg, die verzweifelt nach jeder Möglichkeit suchten, einen weiteren Aufschub zu erwirken, wiesen darauf hin, dass dieser Termin in der Zeit des Sabbat liegen würde und damit ein Affront gegen die jüdische Herkunft ihrer Mandanten wäre.
Überraschenderweise gab der zuständige Richter dem Einspruch statt. Doch statt eines Hinrichtungsaufschubes ordnete er an, die Exekution vor dem Beginn des Sabbats zu vollziehen. Um 20 Uhr wurde der 35-jährige Julius Rosenberg in die Todeskammer mit dem elektrischen Stuhl geführt. Ein einziger Stromstoß genügte, seinem Leben ein Ende zu setzen. Ethel Rosenberg, 37 Jahre alt, überlebte die vorgeschriebenen drei Stromstöße von 10 000 Volt, die für jeweils 20 Sekunden durch ihren Körper gejagt wurden. Erst ein vierter Stromstoß, für den ihr geschundener Körper erneut auf dem elektrischen Stuhl festgeschnallt wurde, brachte den Tod.
Für Millionen Menschen in aller Welt war die Nachricht von der Hinrichtung der Rosenbergs ein großer Schock. Über Jahre hinweg hatten sie für das Leben der beiden US-amerikanischen Kommunisten gekämpft, die von der Justiz ihres Landes wegen »Verschwörung zur Spionage« zum Tode verurteilt worden waren. Sie sollten der Sowjetunion das »Geheimnis der Atombombe« enthüllt und damit »Verrat« begangen haben. Richter Irving Kaufman, der das Verfahren gegen die Rosenbergs mit einem beinahe schon pathologischen Hass führte, hatte in der Urteilsbegründung im April 1951 sogar von einem Verbrechen gesprochen, das schwerer wiege als Mord.
Doch nicht erst seit einer aufsehenerregenden Artikelserie über den Fall der Rosenbergs, die der New Yorker »National Guardian« ab August 1951 veröffentlichte, hatte es weltweit erhebliche Zweifel an der Schuld der beiden Verurteilten gegeben. Denn wirkliche Beweise hatte der Staatsanwalt nicht vorlegen können. Er stützte die Anklage vor allem auf die Aussage von David Greenglass, dem Bruder von Ethel Rosenberg, der seine Schwester und seinen Schwager in der Tat schwer belastete. Greenglass hatte seit 1944 als einfacher Maschinist in einer Werkstatt in Los Alamos gearbeitet, dem streng geheimen Forschungszentrum zur Entwicklung und zum Bau einer US-amerikanischen Atombombe. Julius Rosenberg, so seine Behauptung, habe ihn angeworben, für die Sowjetunion geheime Informationen zu sammeln, seine Schwester habe seine handschriftlichen Notizen mit der Schreibmaschine abgeschrieben. Doch Greenglass hatte in Los Alamos eine so untergeordnete Funktion gehabt, dass es nichts gab, das er hätte berichten können. Es sollte mehr als ein halbes Jahrhundert dauern, bis die US-Behörden die entscheidenden Teile der bis dahin geheimen Prozessakten freigaben und so die volle Wahrheit ans Licht kam:
1944 hatten die US-Geheimdienste im Rahmen des sogenannten Venona-Projekts begonnen, den kodierten Nachrichtenverkehr der sowjetischen Vertretungen in den USA zu entschlüsseln und waren dabei sehr schnell zu beachtlichen Erfolgen gekommen: Insgesamt konnten etwa 2200 Funksprüche - zumindest teilweise - entschlüsselt werden. Das Venona-Projekt galt als das größte Geheimnis des Kalten Kriegs. Seine Existenz und seine Ergebnisse wurden erst 1995 offiziell bekanntgegeben.
Durch die Venona-Dokumente hatten die US-Geheimdienste nicht nur die Identität der tatsächlichen sowjetischen Quellen in Los Alamos - Klaus Fuchs und Theodore Hall - ermitteln können, sie hatten auch festgestellt, dass Julius Rosenberg in den Jahren des Zweiten Weltkriegs einen sehr erfolgreich arbeitenden Spionagering aufgebaut hatte, der dem sowjetischen Geheimdienst bedeutende wissenschaftlich-technologische Informationen lieferte. So war beispielsweise der Näherungszünder der sowjetischen Boden-Luft-Rakete, mit der am 1. Mai 1960 das US-amerikanische Spionageflugzeug vom Typ U-2 mit dem Piloten Gary Powers vom Himmel über Swerdlowsk geholt wurde, auf der Grundlage von Informationen entwickelt worden, die Julius Rosenberg fünfzehn Jahre zuvor beschafft hatte.
Doch aus Gründen des Geheimnisschutzes waren die Erkenntnisse aus dem Venona-Projekt nicht gerichtsverwertbar. Gegen Julius Rosenberg, der sich seit Juni 1950 in Haft befand, wurde deshalb auf der Grundlage der Aussagen seines Schwagers eine Anklage wegen Atomspionage konstruiert, die ihn veranlassen sollte, seinerseits Aussagen gegen Dritte zu machen. Um den Druck zu erhöhen, wurde im August 1950 auch Ethel Rosenberg verhaftet und angeklagt, obwohl den zuständigen US-Behörden durch die Venona-Dokumente bekannt war, dass sie in keiner Weise in die Spionageaktivitäten ihres Mannes involviert war.
Das Todesurteil gegen Ethel Rosenberg war klares Unrecht. Doch auch das Urteil gegen Julius Rosenberg, der tatsächlich Spionage betrieben hatte, stand in keinem Verhältnis zu seiner Schuld.
Sechzig Jahre nach ihrer Hinrichtung besteht kein Zweifel mehr, dass Ethel und Julius Rosenberg Opfer einer Verschwörung der US-Behörden geworden sind. Ihr grausamer Tod war ein Justizmord.
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