FDJ-Emblem auf der Anklagebank
Gerichtsposse wegen »Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen«
Großer Tumult gestern um die Mittagszeit am Eingang des Kriminalgerichts Moabit. Nicht ein verirrter US-Präsident war versehentlich in die Fänge der deutschen Justiz geraten, sondern zwei junge Männer, Michael W. und German L. Als sie das Gerichtsgebäude betreten wollten, stürzten sich mehrere Justizbeamte auf sie und forderten sie ultimativ auf, ihre Hemden auszuziehen - blaue Hemden mit dem Symbol der aufgehenden Sonne. Dann ging alles sehr schnell. Die beiden Männer wurden niedergerungen und etwa zehn Sympathisanten auf die Straße gedrängt, immer mehr Beamte schoben nach. German L. landete in einem sofort herbeigerufenen Gefängniswagen - in einer Zelle, nicht mal ein Quadratmeter groß. Bei der Hitze kann das getrost als Folter bezeichnet werden. Erst nach energischem Protest der Anwältin wurde die Zellentür geöffnet und Luft hereingelassen.
Dann nahmen beide die Beschlagnahmeprotokolle für die FDJ-Hemden entgegen und durften mit einstündiger Verspätung zu ihrer eigenen Gerichtsverhandlung. Sie sind nach Paragraf 86a wegen »Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen« beschuldigt. Am 13. August letzten Jahres hatten sie an der Mauergendenkstätte in der Bernauer Straße mit einem Transparent ihr Recht auf Meinungsfreiheit wahrgenommen. »Erst DDR kassieren / Heute Europa diktieren / Morgen gegen die Welt marschieren« war darauf zu lesen. Auch damals trugen sie das blaue Hemd mit dem Symbol der aufgehenden Sonne. Grund genug für die Berliner Staatsanwaltschaft, sie ein Jahr später anzuklagen.
Unter der Rubrik Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates findet sich der Paragraf 86a. Bisher eingesetzt vor allem beim Brüllen von Naziparolen, beim Zeigen von Hakenkreuz, Reichskriegsflagge oder SS-Runen. Nun also auch das Symbol der FDJ. Bis zu drei Jahren Haft können verhängt werden. Die Behörden sind allerdings angehalten, Großmut zu zeigen, wenn das FDJ-Emblem auf »Ostalgiepartys« gezeigt wird. Doch da es den beiden FDJ-Aktivisten ernst war, packte Justitia zu.
Denn die FDJ ist in der alten Bundesrepublik eine verbotene Organisation. Seit Bestehen des kapitalistischen Nachkriegsdeutschland führt das Land einen erbitterten Kampf gegen die Jugendorganisation, die damals besonders bei der Gewerkschaftsjugend populär war. Zuerst wurde 1950 ein Berufsverbot gegen Mitglieder verhängt. Als der Verband gegen die Militarisierung der BRD mobil machte, erfolgte 1951 erst ein Verbot der von der FDJ initiierten Volksbefragung und gleich danach der Organisation. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte 1954 dieses Verbot als unanfechtbar. Wer in der frühen Bundesrepublik mit der FDJ sympathisierte, dem drohten schwerste Strafen wegen Hochverrats. Das Verbot lebt auch nach dem Beitritt der DDR zur BRD weiter, gilt aber nur für die »FDJ in Westdeutschland«, nicht für die FDJ der DDR. Das Zeigen der West-Version der aufgehenden Sonne steht daher unter Strafe. Die Organisation verfügt heute deutschlandweit über einige hundert Mitglieder
Zu einem Urteil kam es gestern nicht. Die Anwälte der beiden FDJ-Aktivisten erklärten Richter Andreas Rische, der die Polizeiaktion um das Ausziehen der FDJ-Hemden eingeleitet hatte, für befangen. Rische könne nicht unvorbelastet über einen Sachverhalt urteilen, von dem er schon vorher überzeugt sei, dass es eine Straftat ist. Richter Rische erklärte, ohne mit der Wimper zu zucken, dass er sich nicht für befangen hält und die Staatsanwaltschaft hatte gar keine Meinung. Eine Entscheidung darüber wird nun eine andere Kammer fällen. Somit wird die Verhandlung über das Zeigen des FDJ-Emblems bis auf weiteres vertagt.
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