Wut über »unreife Hinterbänkler«
Mehrheit der französischen Abgeordneten wehrt sich gegen Streichung von Privilegien
Das Votum ist nicht in Gefahr, auch wenn die noch vor einem Jahr deutliche Mehrheit der Sozialisten in der ersten Kammer des Parlaments im Laufe der Monate durch einige Nachwahlen knapper geworden ist. Zuletzt ging am vergangenen Wochenende der Wahlkreis Villeneuve-sur-Lot des ehemaligen sozialistischen Budgetministers Jérôme Cahuzac an einen Kandidaten der rechten UMP. Zu dessen Wahl hatte selbst der in der ersten Abstimmungsrunde abgeschlagene PS-Kandidat aufrufen müssen, um den drohenden Sieg eines Kandidaten der rechtsextremen Front National abzuwenden.
Der Gesetzentwurf, den die Regierung eingebracht hatte, um gegen die verheerenden Folgen der Steuerfluchtaffäre ihres früheren Ministers Cahuzac in der Öffentlichkeit anzukämpfen, ist indes kaum noch wiederzuerkennen. Viele gute Absichten fielen dem hinhaltenden Widerstand nicht nur rechter, sondern auch sehr vieler sozialistischer Abgeordneter zum Opfer. Schließlich ging es hier nicht zuletzt um ihre materiellen Interessen.
Zwar wagte niemand, das Gesetz frontal anzugreifen, aber zunächst in den internen Kommissionstagungen und dann in der öffentlichen Debatte im Parlament wurde der Text durch eine Vielzahl von Änderungsanträgen »entschärft« und in vieler Hinsicht seines Inhalts beraubt.
Vor allem wurde der Passus gestrichen, wonach die Abgeordneten - wie die Minister - ihre Vermögensverhältnisse im Internet öffentlich machen sollten. Dagegen hatte es eine Front des Widerstands gegeben, angeführt ausgerechnet vom Präsidenten der Nationalversammlung, dem Sozialisten Claude Bartolone. Bürger, die sich über die finanziellen Verhältnisse ihres Abgeordneten informieren wollen, können in der Präfektur Einsicht beantragen. Doch was sie dort erfahren, muss geheim bleiben. Wer es veröffentlicht, wird mit 45 000 Euro Geldstrafe bedroht.
Abgewendet wurde auch der lebenslange Verlust des passiven Wahlrechts für Politiker, die wegen Korruption verurteilt wurden. Sie können der neuen Vorlage zufolge nach zehn Jahren wieder kandidieren. Abgeschafft wird dagegen die bisherige Praxis, dass sich viele Abgeordnete und Senatoren durch Beraterverträge üppige Nebenverdienste verschafft haben, wodurch der Einflussnahme von Konzernen und Interessengruppen Tür und Tor geöffnet war. Auch die Ausübung der meisten Berufe neben dem Abgeordnetenmandat ist künftig nicht mehr möglich.
Dagegen bleibt das Wahlversprechen des Präsidentschaftskandidaten François Hollande weiter unerfüllt, die in Frankreich so verbreiteten »Mehrfach-Mandate« - vor allem Abgeordneter und Bürgermeister - endlich abzuschaffen. Als kleiner Fortschritt ist zu werten, dass die Namen der Mitarbeiter der Abgeordneten auf der Internetseite des Parlaments aufgelistet werden müssen. So will man der in der Vergangenheit verbreiteten Unsitte entgegentreten, Familienangehörigen und engen Freunden einen gut bezahlten und oft sogar fiktiven Job zu verschaffen.
Angewidert von den »Rückzugsgefechten« ihrer langjährigen Politikerkollegen ist in der vergangenen Woche eine Gruppe junger Abgeordneter der Sozialistischen und der Grünen Partei mit einem kühnen Vorschlag an die Öffentlichkeit gegangen. Sie fordern die Abschaffung der »skandalösen Privilegien« der Parlamentarier, um den Graben zu den von der Krise gebeutelten Wählern nicht weiter zu vertiefen. Sie rechnen vor, dass die »Volksvertreter« zu ihrem Abgeordnetengehalt von monatlich 5500 Euro und 9500 Euro für die Bezahlung ihrer Mitarbeiter noch eine steuerfreie »Aufwandsentschädigung« von 7000 Euro bekommen, über die sie keine Rechenschaft ablegen müssen. Alle Zuwendungen für die Parlamentarier sollten gekürzt und vor allem die »Aufwandsentschädigung« in einen zu versteuernden Gehaltszuschlag umgewandelt werden.
Stellvertretend für die Mehrheit von rechten und linken Parlamentariern versuchte Parlamentspräsident Bartolone diese Vorschläge abzuqualifizieren. Vor der Fernsehkamera sprach er in kaum beherrschter Wut von »unreifen Hinterbänklern«, die sich so »auf Kosten ihrer Kollegen einen Namen in der Öffentlichkeit machen wollen«.
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