Zufallsziel Medaille
Die deutschen Spitzensportler begrüßen die neuen Zielvereinbarungen - auch wenn Erfolg nicht planbar ist
Dorothea Brandt kennt das Wort noch gar nicht, mit dem sie der Autor gerade konfrontiert hat: »Mir gefällt ›Medaillenkorridor‹. Die Formulierung ist besser«, sagt sie. Sie ist Athletensprecherin beim Deutschen Schwimmverband (DSV), doch über die Medaillenziele der neuesten Zielvereinbarung war sie nicht informiert. An vielen Gesprächen mit der Verbandsführung nehme sie teil, sagt Brandt, aber alles gehe im Ehrenamt nun mal nicht.
Dass DSV und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) nach der mageren Ausbeute aus London (einmal Silber) in Rio de Janeiro 2016 zwei bis fünf Medaillen und zehn Finalteilnahmen von den Schwimmern erwarten, findet sie in Ordnung. »Wir wollen ja besser werden. Da muss man sich auch mal Ziele setzen, die über dem Ist-Zustand liegen«, sagt die Berlinerin. Immerhin gehe es nicht mehr um kaum realistische Potenziale. »Man kann nicht an Medaillen festmachen, ob man in der Weltspitze mitmischt. Die ist mittlerweile auf 20 Nationen und mehr angewachsen«, so Brandt. Oft entscheiden nur wenige Hundertstelsekunden über Edelmetall.
Sportschütze Marcel Goelden ist den Korridoren auch nicht abgeneigt, obwohl nach den erfolglosen Spielen 2012 nun zwei bis drei Medaillen geholt werden sollen. »Dass Leistungssport mit Zielen in Einklang gebracht wird, ist gut«, sagt das Mitglied der DOSB-Athletenkommission. »Ansonsten würden wohl einige einfach nur drauf los trainieren, nach Rio fahren, ein paar Caipirinhas trinken und mal sehen, was bei den Wettkämpfen so rauskommt.«
Den Steuerzahlern gegenüber sei eine realistische Einschätzung Pflicht. Goelden wünscht sich jedoch mehr Erfolgskriterien als Medaillen und Finalplätze. »Ich habe mich für Athen 2004 nicht qualifiziert, weil mir bei einem Schuss weniger als ein Millimeter gefehlt hatte. Daran kann man nicht festmachen, ob die Arbeit der vier Jahre zuvor Käse war«, sagt Goelden. »Und wenn man seine persönliche Bestleistung auf dem Höhepunkt erreicht, dann von acht Milliarden Menschen aber drei oder acht besser waren, dann ist die Leistung trotzdem ein Erfolg.«
In Sachen Zielvereinbarungen vertrauen die Athleten ihren Funktionären, realistische Ziele gesetzt zu haben. »Bundestrainer Henning Lambertz und Sportdirektor Lutz Buschkow fragen oft nach, wie uns die Trainingsmaßnahmen gefallen. Es wird nicht mehr über unsere Köpfe hinweg entschieden«, sagt Brandt. Ohnehin müssten die Athleten nicht bei allem mitreden. »Es gibt Dinge, mit denen ich mich als Sportler nicht beschäftigen will.« Die Funktionäre hätten meist den besseren Überblick über alle Disziplinen als die Sportler. Die Medaillenkorridore müssten aber jährlich nachjustiert werden, »denn am Anfang eines Olympiazyklus› ist unmöglich abzusehen, was genau in vier Jahren passieren wird‹«. In der Tat sehen die neuen Vereinbarungen diese Möglichkeit vor.
Dass die Ziele nun öffentlich sind, hält Pistolenschütze Goelden für unproblematisch. Zielvereinbarungen würden nie allein zu erhöhtem Druckempfinden führen, sagt der 34-Jährige. »Wenn man als Titelverteidiger zu Olympia fährt, bekommt man den Druck von den Medien sowieso.« Auch die Veröffentlichung der hohen Fördersummen seien kein Druck erhöhender Faktor. »Ich war mir immer bewusst, dass ich Geld für die Ausübung meines Sports bekomme, das ich nicht durch meine Arbeit verdient habe. Dafür war ich auch immer dankbar.«
Goelden teilt jedoch die Einschätzung des DOSB, dass knapp 45 Millionen Euro im Jahr nicht reichen würden, um überall Weltspitze zu verkörpern. Startkontingente bei internationalen Veranstaltungen würden wegen hoher Reisekosten nicht voll besetzt. »Dann müssen gute Sportler zu Hause bleiben. Die Chinesen besetzen fast ausnahmslos alle Plätze und können mit mehr Athleten Wettkampferfahrung sammeln.« In London gewannen chinesische Schützen übrigens sieben Medaillen. Wie hoch deren Vorgabe war, ist nicht bekannt.
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