Osten im Westen

Wie Amt Neuhaus nach Niedersachsen kam

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 2 Min.

Wer einen Beweis dafür sucht, dass das Sein das Bewusstsein verändert, wird im Amt Neuhaus fündig. Die kommunale Verwaltungseinheit an der Elbe gehörte bis zum Sommer 1993 zu Mecklenburg-Vorpommern, dann votierten die Gemeinderäte einstimmig für einen Anschluss an Niedersachsen - und das Bewusstsein hat längst nachgezogen: Während in den westlichen Landkreisen von Mecklenburg-Vorpommern das dort etablierte rot-schwarz-rote Dreiparteiensystem herrscht, liefert Neuhaus solide Westergebnisse: SPD, CDU, dann lange nichts - so die Stimmenverteilung im kommunalen Parlament. Erst ganz am Ende der Liste findet sich ein einsamer Vertreter der LINKEN. Dabei ist, wer im Amt Neuhaus lebt, rechtlich weiterhin Ossi.

Neuhaus wird trotz des Länderwechsels als »Beitrittsgebiet« behandelt, inklusive etwa der geringeren Rentenansprüche und niedrigeren Zuverdienstgrenze. Die Neuhäuser sind Niedersachsen zweiter Klasse, weil der Einigungsvertrag über dem Staatsvertrag zwischen den beiden Bundesländern steht, der den Übertritt seinerzeit regelte. Immerhin ist die Arbeitslosigkeit im Kreis Lüneburg mit offiziell 6,4 Prozent geringer als im benachbarten Ost-Kreis Ludwigslust-Parchim, der 8,2 Prozent meldet.

Dass die acht Orte der jetzigen »Einheitsgemeinde« seinerzeit das Land wechseln durften, hat historische Gründe. Bis 1945 gehörte der Landstrich zu den Gebieten, aus denen Niedersachsen gebildet wurde. Dass Neuhaus bei der Teilung Deutschlands auf die östliche Seite geriet, hatte vor allem pragmatische Gründe: Das Gebiet liegt auf der östlichen Seite der Elbe und war für die britische Besatzungsmacht mangels einer Brücke schlecht erreichbar.

Diesen Zufall wollte man vor zwanzig Jahren korrigieren. Allerdings hat die Vereinigungslust auf der Westseite auch Grenzen: Bereits zweimal haben die Bürger der Stadt Bleckede in den letzten Jahren dagegen gestimmt, die jetzige Einheitsgemeinde Neuhaus mit ihrer Stadt zu fusionieren. Das wichtigste Argument war wohl die hohe Verschuldung von Neuhaus. Bleckede dagegen ist eine wohlhabende Stadt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -