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Kein Cent mehr, und der Sohn ist hungrig

Christos Ikonomou führt mit »Warte nur, es passiert schon was« ins heutige Griechenland

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 3 Min.

Warte nur, es passiert schon was. Wirklich? Und ändert sich dann alles zum Guten? Es ist ein krasser Kontrast, in dem Christos Ikonomous traurige Griechenlandbilder zum üblichen (touristischen) Tableau des Landes stehen. Blauer Himmel, wärmende Sonne, weiße Häuser, Herzlichkeit, Lebensfreude, Gastlichkeit: Diese Klischees sucht der Leser in Ikonomous Sammlung von Kurzgeschichten, die der C.H. Beck Verlag dieser Tage auf den Markt brachte, vergebens.

Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit, Pespektivlosigkeit. Müdigkeit, Krankheit, Tod. Das sind die Schlagworte, unter denen man die realistisch beschriebenen, quasi dokumentarischen Erzählungen katalogisieren würde.

Zum Beispiel die Geschichte von Janis Egleso, dessen Freund Petros Frangos auf der Baustelle stirbt. Ein Unfall, verursacht, weil er die vom Chef geforderte Norm noch vor den Feiertagen erfüllen will. Oder die Geschichte von dem Mann, der einen ganzen Tag am Hafen auf die Fähre wartet, mit der seine Schwester von der Nachbarinsel kommen und ihm Geld bringen will. Er hat keinen Cent mehr. Und zu Hause, in der Küche, sitzt sein kleiner Sohn. Hungrig die Rückkehr des Vaters herbeisehnend. Er träumt von etwas zum Essen. Der Vater träumt, er könne dem Jungen ein Überraschungsei schenken. Weil doch Ostern ist. Doch die Schwester versetzt ihn.

Eine andere Erzählung handelt von einem, den sie Mao nennen. Man hat seine Schwester Katerina vergewaltigt, und nun sinnt er auf Rache. Am Ende wird er selbst zum Opfer von Lynchjustiz. Die Tat bleibt ungesühnt. Obwohl vermutet werden kann, dass jeder im Dorf weiß, wer dahinter steckt. Ein anderer Mann ist Sprayer. Und trotz mehrfacher Festnahme mag er nicht auf Graffiti verzichten. Aufgeben ist seine Sache nicht.

Er ist ähnlich verzweifelt wie die Frau, die von ihrem Freund verlassen wird, der auch noch ihr Sparschwein mitnimmt. 900 Euro hatte sie zurückgelegt. Kein Vermögen, doch für sie sehr viel Geld. Michalis, der Fabrikarbeiter, scheint dagegen einen Ausweg aus dem Elend zu wissen: Er möchte Spanier sein. Besonders gern singt er das Wiegenlied von der Zwiebel: »Wir haben uns so viele Dinge zu sagen Gefährte meiner Seele Gefährte.«

Theodoris Skoupas besprüht sonntags seine Vespa mit Kölnischwasser, damit sie gut riecht. Ein anderer Mann möchte protestieren. Doch weil ihm nicht einfällt, was er auf sein Transparent schreiben soll, nimmt er es unbeschrieben mit. Vassilis erzählt seiner Lena Geschichten. Obwohl sie gar nicht mehr lebt.

Auch Christos Ikonomou erzählt Geschichten. Und es fällt schwer, daran zu glauben, dass wirklich »etwas passiert«. Schwermut ist vielleicht nicht der beste Ratgeber in Zeiten ohne Hoffnung. Andererseits sagt sich das leicht, wenn man im reichen Norden der Welt lebt.

Christos Ikonomou: Warte nur, es passiert schon was. Erzählungen. Aus dem Griechischen von Birgit Hildebrand. C. H. Beck, 256 S., geb., 19,95 €.

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