Mandelas Sterben, die Familie und die Politik

Der südafrikanische Nationalheld wird offenbar nur noch von Maschinen am Leben erhalten

  • Benjamin Dürr (epd), Pretoria
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor fast einem Monat wurde Nelson Mandela ins Krankenhaus gebracht. Nach der offiziellen Version des Präsidialamtes wird der südafrikanische Nationalheld wegen einer Lungenentzündung behandelt. Daran glaubt aber kaum noch jemand.

Mitarbeiter und Besucher erzählten vor einigen Tagen anonym einem US-Fernsehsender, Nelson Mandela werde künstlich beatmet. Alle drei Stunden werde er an Dialyse-Geräte angeschlossen, die das Blut reinigen. Eine dritte Maschine unterstütze sein Herz. Ein solcher Zustand, sagen Experten, könne Jahre andauern.

So hängt das Leben des früheren südafrikanischen Präsidenten offenbar nur noch an Maschinen. Die Familie wird dadurch in eine ethisch schwierige Situation gedrängt: Die Angehörigen müssen entscheiden, wie viel medizinischer Eingriff bei einem 94-Jährigen richtig ist - und wann der Zeitpunkt gekommen ist, um die Maschinen abzustellen.

Wenn es keine Patientenverfügung und keinen Letzten Willen gibt, trägt in Südafrika - anders als in Deutschland - der Ehepartner, gefolgt von den Kindern, die Verantwortung für diese Entscheidung, wie Bioethik-Professor Sylvester Chima von der Universität KwaZulu-Natal in Durban erklärte. »Im Fall einer kulturellen und weltweiten Ikone wie Mandela ist eine solche Entscheidung aber nicht einfach.« Denn auch die Ärzte, die vielen Familienangehörigen, Anführer und Stammesältesten würden die Entscheidung beeinflussen, sagte Chima der Sonntagszeitung »City Press«. Der Vorsitzende des Rates traditioneller Heiler in Südafrika, Phathekile Holomisa, sagte der Zeitung: »In unserer Kultur entscheidet niemand, das Leben eines anderen zu beenden.« Diese Entscheidung liege nicht in der Hand des Menschen. Mandelas Tochter Makaziwe äußerte sich ähnlich: Man werde ihren Vater so lange behandeln, bis er selbst den Wunsch äußere zu sterben, erklärte sie CNN.

Die Familie steht in dieser Frage unter enormem Druck. Vor dem Krankenhaus warten Hunderte Journalisten, die Welt schaut beim Sterben und Sterbenlassen zu. Hinzu kommen politische Interessen und der Druck eines ganzen Landes, das Mandela verehrt.

Präsident Jacob Zuma und sein Afrikanischer Nationalkongress (ANC) haben ein besonderes Interesse daran, dass Mandela noch lange lebt. 2014 wird in Südafrika gewählt. Ohne den Friedensnobelpreisträger könnten dem ANC Sympathiestimmen verloren gehen. Denn manche Wähler würden dann wohl keine innere Verpflichtung mehr verspüren, für den ANC zu stimmen, um damit das Lebenswerk Mandelas zu ehren.

Zuma versucht deshalb immer wieder, mit dem Heldenstatus des Altpräsidenten sein eigenes Image aufzupolieren. Vor einigen Wochen zeigten die Hauptnachrichten den Staatschef bei einem sichtbar angeschlagenen Mandela zu Hause. Zuma besuchte ihn bereits mehrmals am Krankenbett. Immer wieder lässt er offizielle Mitteilungen verbreiten und ermuntert die Menschen, für Mandela zu beten. Vor der Klinik rollte bereits ein Lastwagen mit ANC-Werbung an den Fernsehkameras vorbei.

Weltweit wird in Medien die Frage nach dem Abschalten der Geräte diskutiert. Viele Journalisten und Leser sind sich einig, man solle Mandela, der am 18. Juli 95 Jahre alt wird, in Frieden sterben lassen. Manche erinnern an das Schicksal eines anderen Politikers: Der frühere israelische Regierungschef Ariel Scharon fiel 2006 ins Koma und wird seither künstlich am Leben gehalten.

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